Von Vera Eichenauer – Das Jubiläum der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit ist für eine Reflexion über die Auswirkungen der gesamtschweizerischen Politik auf die ärmsten Ländern und deren Entwicklungschancen zu nutzen. Entwicklungszusammenarbeit allein reicht nicht aus, sondern – wie das Jubiläumsmotto der DEZA korrekt vermittelt – „Mehr als Hilfe“ ist notwendig um ärmeren Ländern Raum für Entwicklung zu geben: nämlich eine kohärente, entwicklungsfreundliche Aussenpolitik.
Die Schweizer Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA), welche zuerst eine technische Zusammenarbeit war und erst ab 1976 zur umfassenden Entwicklungszusammenarbeit wurde, konnte am 17. März 2011 ihr 50-jähriges Jubiläum begehen. Die DEZA nimmt dies unter dem Motto „Mehr als Hilfe“ zum Anlass, die Schweizer Bevölkerung besser über die Entwicklungszusammenarbeit und ihre künftigen Herausforderungen zu informieren und diese zu diskutieren. Die Herausforderungen sind weiterhin gewaltig: noch immer leben laut DEZA über eine Milliarde Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag.
Laut DEZA-Jubiläumsseite sollen zum Jubiläum anstatt „nostalgischer Feiern“ die erwähnten Öffentlichkeitsaktionen und eine Standortbestimmung stattfinden. Die Überwindung der absoluten Armut erwies sich nämlich als weitaus schwieriger, als man vor 50 Jahren angenommen hat. Dass es angesichts der oben genannten Zahlen keinen Grund zum Feiern gibt, hätte wohl nicht extra erwähnt werden müssen. Gut, dass die DEZA dies erkannt hat.
Standortbestimmung der DEZA als gesamtpolitische Aufgabe
Eine Standortbestimmung hingegen ist sinnvoll, sollte aber keine interne Übung der Direktion bleiben. Die beste Strategie und die Finanzierung der wirkungsvollsten Projekte reichen alleine nicht aus, um die Entwicklung in ärmeren Ländern zu fördern. Diese Länder brauchen einen politischen Gestaltungsspielraum, um ihren eigenen Entwicklungsweg zu finden. Ein solcher Spielraum wird jedoch durch die Auswirkungen der Gesamtheit der Schweizer Politik auf Entwicklungsländer nicht gerade grosszügig gewährt. Der Entwicklungsfreundlichkeitsindex 2010 (Commitment to Development Index) , entwickelt vom unabhängigen amerikanischen Think-Tank „Center for Global Development“ beurteilt die Arbeit der DEZA als mittelmässig bis gut im internationalen Vergleich (Rang 10 von 22). Dieser Rang und somit die Qualität und Quantität der Entwicklungszusammenarbeit sind jedoch nur eine Teildimension dieses Indexes, der die Entwicklungsfreundlichkeit eines Landes über alle Politikbereiche hinweg misst.
Verschlechterung auf den 20. Platz im Entwicklungsfreundlichkeitsranking
Im Gesamtranking über alle Dimensionen nimmt die Schweiz von 22 Industrieländern den schlechten 20. Rang ein. Damit liegt die Schweiz gleich hinter Griechenland, vor den beiden Schlusslichtern Japan und Korea. Der Index bewertet die Gesamtkohärenz der nationalen Politik im Hinblick auf deren Auswirkungen auf ärmere Länder. Dazu wird die Politik eines Landes in den Dimensionen Finanzhilfe, Handel, Investitionen, Migration, Umwelt, Sicherheit und Technologie betrachtet. Insbesondere die hohen Agrarzölle und -subventionen sowie das geringe Engagement für die internationale Sicherheit (beispielsweise durch Friedenssicherungseinsätze) bringen der Schweiz diesen wenig ruhmreichen Rang ein. Dieser bedeutet zudem eine massive Verschlechterung gegenüber dem 7. Rang im Jahr 2003 und dem 17. Rang im Jahr 2007.
Ein wichtiger Ansatzpunkt einer Jubiläumsreflexion wäre also nicht nur die Quantität der Entwicklungshilfe, mit den vielgenannten 0.7% des Bruttonationalprodukts, sondern auch die Gesamtqualität der Politik in Bezug auf deren „Entwicklungsfreundlichkeit“. Die oft kritisierte Wirkungslosigkeit der Entwicklungsgelder steht auch mit der inkohärenten, oftmals fast konträren Aussenwirtschaftspolitik der industrialisierten Länder in Zusammenhang. Die Schweiz ist da keine Ausnahme. Eine gute Illustration findet sich im Bereich des geistigen Eigentumsrechts, insbesondere an Medikamenten. Diese Rechte sind ein zentrales Thema des momentan verhandelten Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein, Schweiz) und Indien, dem grössten Generika-Produzenten der Welt. Auch in den härtesten Verhandlungen sollten humanitäre und entwicklungspolitische Konsequenzen nicht vergessen werden.
Das Jubiläumsmotto fordert mehr Fair Play gegenüber den ärmste Länder
Das DEZA-Jubiläumsmotto „Mehr als Hilfe“ kann banal als „Hilfe zur Selbsthilfe“ interprentiert werden, könnte jedoch auch als eine Aufforderung für die Erarbeitung eines politisches Gesamtkonzepts verstanden werden: Weder Hilfe noch Zusammenarbeit reichen aus, sondern es braucht ein umfassendes Fair Play, welches sich nicht hinter historischen Vorteilen verbarrikadiert und diese verteidigt. Das Motto wäre somit als Aufruf an die gesamtschweizerische Politik und die Wähler zu verstehen, über die entwicklungsfeindlichen Auswirkungen der Schweizer Aussenpolitik zu reflektieren. Dabei gilt es, weder in eine Nostalgie humanitärer Tradition der Schweiz zu verfallen noch wegen der wirtschaftlichen Nachteile einer solchen Politik den Teufel an die Wand zu malen. Wie unter anderem Finnland, Neuseeland und Kanada beweisen, besteht zwischen wirtschaftlichem Erfolg und entwicklungsfreundlicher Politik kein Zielkonflikt.
Das Jubiläum der DEZA sollte für eine Diskussion darüber genutzt werden, was es gesamtpolitisch bedeutet, eine Direktion mit dem Ziel der weltweiten Armutsverminderung zu haben.
Vera Eichenauer hat an der Sciences Po Paris und in Washington D.C. internationale Wirtschaftsbeziehungen studiert und ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppen Entwicklungszusammenarbeit und Migration.
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