Von Gabriela Medici – Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit stellen einen Paradigmenwechsel dar und haben in den letzten Jahren entscheidend zum Schutz der schweizerischen Arbeitsbedingungen beigetragen. Trotz aufgedeckten Fällen von Lohndumping und verschiedenen Lücken die verbessert werden müssen, sind sie grundsätzlich als Chance zu qualifizieren.
Die Einführung der Personenfreizügigkeit brachte grundlegende Änderungen für den schweizerischen Arbeitsmarkt. Zwar hat sie die Rekrutierungs- und damit auch die Wachstumsmöglichkeiten der Schweizer Wirtschaft um ein Vielfaches verbessert, gleichzeitig weckt die Personenfreizügigkeit aber weiterhin berechtigte Ängste: Führt die Öffnung des Arbeitsmarktes nicht auch zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen im Hochlohnland Schweiz und zu einer Verdrängung der Schweizerinnen und Schweizer vom Arbeitsmarkt?
Haben die flankierenden Massnahmen versagt?
Immer wieder machen Fälle von Lohndumping Schlagzeilen. Erst kürzlich wurden auf einer Baustelle im Kanton Waadt portugiesische Arbeiter/innen kontrolliert, die 3.78 CHF Stundenlohn erhielten. Dieser Fall krassen Lohn- und Sozialdumpings ist selbstverständlich ein Skandal. Und tatsächlich sind in den letzten Jahren verschiedene solche Angriffe auf die schweizerischen Arbeitsbedingungen beobachtet worden. Nichts desto trotz sollten sie aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit über weite Strecken ihr Ziel erfüllen und einen wirksamen Schutz der in- und ausländischen Arbeitnehmenden vor Lohnunterbietungen und Verstössen gegen schlechte Arbeitsbedingungen gewährleisten können.
Paradigmenwechsel im Umgang mit der staatlichen Überprüfung von Arbeitsbedingungen
Dank den flankierenden Massnahmen werden die schweizerischen Löhne und Arbeitsbedingungen zum ersten Mal systematisch überprüft, zurzeit von rund 150 Kontrolleuren. Stellen diese Druck auf die Löhne fest – was in den letzten Jahren zunehmend der Fall war – können mittels verschiedener Instrumente obligatorische Mindestlöhne eingeführt werden. Diese vor sieben Jahren eingeführte Kontrolle der Arbeitsbedingungen bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Paradigmenwechsel für die Schweiz, in der traditionell nicht über die Lohnbedingungen gesprochen wird.
Bilanz der flankierenden Massnahmen ist gemäss SECO grundsätzlich positiv
Das SECO publiziert seit sieben Jahren einen jährlichen Bericht über die Umsetzung der flankierenden Massnahmen. Diese Berichte zeigen, dass es in der Schweiz tatsächlich zu Lohndumping und Verstössen gegen die Arbeitsbedingungen kommt. Die in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen bezeugen in diesem Sinne die Notwendigkeit von Kontrollen, auch für die Zukunft. Sie zeigen aber gleichzeitig, dass die flankierenden Massnahmen eine wirksame Überprüfung des Arbeitsmarktes sicherstellen können. Zu diesem Zweck wurden die flankierenden Massnahmen bereits zweimal verschärft und ihr Vollzug optimiert. Am 23. September 2011 hat der Bundesrat nun eine weitere, begrüssenswerte Verbesserung der Instrumente in die Vernehmlassung geschickt. Neben der Bekämpfung der Scheinselbständigkeit soll insbesondere die Durchsetzbarkeit der gesetzlichen Mindestlöhne verbessert werden.
Wertvolle Instrumente mit Potenzial
Die letzten Jahre zeigen, dass die flankierenden Massnahmen ihr Ziel erfüllen können, wenn beim Vollzug eine enge Zusammenarbeit der involvierten Behörden und Sozialpartner stattfindet und der Wille zur Umsetzung vorhanden ist. Dies wird in Zukunft umso wichtiger sein, weil verschiedene Teile der flankierenden Massnahmen – wie namentlich die Kautionspflicht – nicht nur von erfinderischen Unternehmer/innen umgangen werden möchten, sondern auch dem Europaparlament ein Dorn im Auge sind.
In diesem Sinne muss die Umsetzung der flankierenden Massnahmen zwar aus der Nähe mitverfolgt werden – sie haben aber weiterhin das Potenzial tatsächlich verhindern zu können, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen in der Schweiz nicht über den Lohn und somit auf dem Rücken der Arbeitnehmenden ausgetragen wird.
Gabriela Medici, lic.iur., ist Doktorandin an der Universität Zürich. Sie engagiert sich bei foraus in der Arbeitsgruppe Migration.
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