Von Antoine Schnegg – Aus den Medien ist zu entnehmen, dass das Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) Anfang dieser Woche gestohlene Bankkundendaten der Bank Coutts (ein schweizerisches Tochterunternehmen der Royal Bank of Scotland) erworben hat. Es ist nicht bekannt, wie NRW zu diesen Daten gekommen ist, immerhin sollen aber 3,5 Mio. Euro geflossen sein. Vorgestern hat die Bild Zeitung bekannt gemacht, dass NRW wieder Bankkundendaten erworben haben soll. Die Reaktionen aus dem Parlament in Bern fallen geharnischt aus, so verlangt Nationalrätin Doris Fiala zum Beispiel einen Gang vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH).
Dass deutsche Finanzbehörden Bankkundendaten ausländischer Banken auf CD erwerben (warum Finanzbehörden auf dieses veraltete Medium setzen ist nicht bekannt), ist keine Neuheit. Am 21. September 2011 haben die Schweiz und Deutschland einen Vertrag unterzeichnet, welcher den Informationsaustausch zwischen beiden Ländern regeln soll. Insbesondere wurde im Abkommen vereinbart, dass Deutschland bei der Suche nach Bankkunden in der Schweiz den Namen, die Adresse und weitere Identifikationsmerkmale übermitteln soll. Sogenannte „fishing expeditions“ sollten verboten sein. Es erstaunt, dass der Finanzminister von NRW, Norbert Walter-Borjans, die Datenkäufe damit rechtfertigt, dass das Abkommen zu wenig griffig sei und „scheunentorgrosse Schlupflöcher für Steuerbetrüger“ offenlasse. Nationalrätin Doris Fiala ist entsetzt und verlangt nun eine juristische Beurteilung durch den IGH. Es stellt sich die Frage, ob dies im vorliegenden Fall die geeignete Instanz ist.
Liegt überhaupt ein Vertragsbruch vor?
Damit die Schweiz vor den IGH klagen könnte, müsste zunächst abgeklärt werden, ob überhaupt ein Vertragsbruch vorliegt. Der Vertrag ist nicht ratifiziert und hat somit noch keine Rechtswirkung. Jedoch haben die Vertragsparteien nach Unterzeichnung von völkerrechtlichen Verträgen gemäss Völkergewohnheitsrecht und Art. 18 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens die Pflicht, alle Handlungen zu unterlassen, welche den Vertragszweck vereiteln könnten. Ob dies beim Kauf von gestohlenen Bankkundendaten der Fall wäre, müsste der IGH vorfrageweise beantworten.
Dieses Argument lässt Norbert Walter-Borjans relativ kalt. Damit das Abkommen in Deutschland ratifiziert werden kann, muss es die Zustimmung der Vertreter der links regierten Bundesländer (NRW, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin) im Bundesrat erhalten. Diese Zustimmung ist alles andere als sicher und eine Mehrheit im Bundesrat ist zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Darum sieht sich Norbert Walter-Borjans auch nicht verpflichtet, ein hypothetisches Abkommen mit der Schweiz zu respektieren.
Ist der IGH das geeignete Forum?
Es ist löblich, dass Nationalrätin Doris Fiala den IGH in Betracht zieht und zeugt von einer gewissen Bereitschaft, konstruktive Lösungen zu verfolgen. Dies im Gegensatz zu gewissen Parlamentskollegen, welche einseitige Retorsionsmassnahmen gegen Deutsche (nicht unbedingt gegen Deutschland) favorisieren. Es stellt sich jedoch die Frage, ob unter den oben genannten Voraussetzungen ein Gang vor den IGH überhaupt etwas bringt.
Erstens hat die Schweiz einen nicht-ratifizierten Vertrag in der Hand, dessen Ratifizierung auf tönernen Füssen steht. Fällt die Ratifizierung dahin, kann dieser nicht als Rechtsgrundlage für einen Vertragsbruch vor dem IGH angeführt werden. Im extremsten Fall könnte der IGH rügen, dass Deutschland im Vorfeld der Ratifizierung den Vertragszweck gefährde.
Zweitens, ist der IGH nicht bekannt für seine speditive Arbeit. In diesem Fall müsste die Schweiz eine Klageschrift verfassen und provisorische Massnahmen verlangen (wie z.B. die Aushändigung der CD durch NRW oder eine Unterlassungserklärung durch Deutschland erwirken). All diese Schritte brauchen Zeit. In dieser Zeit kann das Finanzamt von NRW Daten auswerten und allenfalls Prozesse gegen Steuerbetrüger anstrengen (dem Finanzamt von NRW geht es unter Umständen gar nicht darum einen Prozess zu gewinnen, sondern auf Steuerbetrüger Druck auszuüben, damit diese freiwillig ihre Steuern bezahlen).
Weil ein Gang vor den IGH höchstens als Säbelrasseln wahrgenommen würde, sollte sich die Schweiz andere Möglichkeiten überlegen, diese Streitigkeit aus der Welt zu schaffen.
Was gibt es für Alternativen?
Was nicht als Alternative in Frage kommt, sind Zollschikanen oder absurde Überflugsregelungen. Damit würde sich die Schweiz nur ins eigene Fleisch schneiden. Auf diplomatischer Ebene gäbe es weitere Möglichkeiten, diesen Streit aus der Welt zu schaffen. Man könnte sich zum Beispiel auf ein Schiedsgericht einigen, welches die Streitigkeit effizient und rechtsverbindlich aus der Welt schafft. Dieses Schiedsgericht würde nur den Datenkauf von NRW beurteilen und somit die Streitigkeit aus der gesamten Debatte zum Steuerabkommen mit Deutschland lösen.
Gemäss dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Deutschland überhaupt kein Interesse, die Ratifizierung des Abkommens zu gefährden. Die Datenkäufe von NRW können (zumindest teilweise) als Oppositionspolitik gegen die Bundesregierung in Berlin interpretiert werden. Für die Schweiz ist der Handelspartner jedoch nicht NRW, sondern Deutschland. Mit einem Gang vor den IGH würde die Schweiz eventuell den Gegnern des Abkommens in die Hände spielen und somit die Gefahr hinaufbeschwören, dass im Bereich des Informationsaustausch zwischen beiden Ländern die rechtlichen Lücken nicht geschlossen werden. Die Schweiz sollte in dieser Angelegenheit das Kriegsbeil nicht ausgraben und versuchen, den Streit anderweitig zu lösen, da das Interesse an einer nachhaltigen Lösung bei beiden Seiten vorhanden ist.
Antoine Schnegg, ist Jurist und Doktorand am Institut für Völkerrecht der Universität Zürich.
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