Nebelpetarden der Machtlosigkeit in der Schweizer Asyldebatte

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Von David Kaufmann – Die Schweizer Asyldebatte weist Anzeichen von Erschöpfung auf. Ohne den zwangsläufigen internationalen Aspekt von Flucht zu berücksichtigen, verharrt der Asyldiskurs in panikartigen Versuchen, ein vermeintlich steuerbares Konstrukt von Asylattraktivität zu verringern.

Nach den neuerlichen Asylgesetzverschärfungen, die sogar per Dringlichkeitsbeschluss durchgesetzt wurden, treiben Schweizer Politiker restriktive Bedingungen für Asylbewerber weiter voran. Die neusten Gesetzesrevisionen – angetrieben von Phillip Müller, der selbstbewusst darauf hinweist, Nebelpetarden in Form einer Fülle von Gesetzesvorlagen als Strategie zu gebrauchen um seine zentralen Forderungen durchzubringen – vermögen die Machtlosigkeit der Schweizer Innenpolitik jedoch nicht zu vernebeln.

Nebelpetarde „Asylausschluss für Wehrdienstverweigerung/Deserteure“

Die durchgewunkene Variante des Asylausschlusses für Dienstverweigerung ist eine solche Nebelpetarde, die in der diesjährigen Herbstsession gezündet wurde. Das eigentliche Ziel hinter dieser Verschärfung war, die Gesuchszahlen von Eritreern zu minimieren. In den Kommissionen der beratenden Räte wurde aber schnell klar, dass dieser Gesetzesvorschlag nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vereinbar ist. Deshalb wurde bei dem neuen Art. 3 Abs. 3 AsylG die zwingende Einhaltung der GFK festgeschrieben, was de facto nichts an den Asylerwägungen bei Gesuchen von Eritreern ändern wird. Dieser konkrete Fall zeigt auf, dass Asyl und Schutzgewährung international höchst vernetzte Thematiken sind, bei denen Schweizer Politiker ihre eigene Machtlosigkeit allzu oft mit Scheinlösungen zu kaschieren versuchen.

Push- versus Pull-Faktoren

Die akademische Diskussion um die Frage, warum ein potentieller Asylbewerber ein Land für sein Schutzgesuch auswählt, ist nicht sehr umstritten. Mikrostudien, deren Methodik sich auf Befragungen von Asylsuchenden stützen, sowie Makrostudien, welche statistische Zusammenhänge von Gesuchszahlen und Asylgesetzverschärfungen analysieren, kommen zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Die Hypothese, wonach restriktivere Asylgesetze die Asylattraktivität eine Landes verringern, wird nicht gestützt. Ausschlaggebend für die Wahl eines bestimmten Ziellandes sind vielmehr existierende Beziehungen (persönliche, kulturelle, sprachliche – in dieser Reihenfolge). Zusätzlich können weitere Faktoren – etwa existierende Diasporas, Organisationsstrukturen der etablierten Schlepperorganisationen, Grenzabwehrmassnahmen oder  lange Verfahrensdauer – hohe Gesuchszahlen partiell erklären. Krieg und Situationen allgemeiner Gewalt und Repression, so genannte „Push-Faktoren“, können hingegen Fluchtbewegungen in Industrieländer statistisch erklären. Dabei suchen allerdings rund 80% aller Flüchtlinge Schutz in der Herkunftsregion und verlassen den globalen Süden gar nie.

Dominanz von Sicherheitsexperten und Innepolitikern

Vergleiche zwischen den wissenschaftlichen Studien und der derzeitigen Asyldebatte lassen den Schluss zu, dass Schweizer Parlamentarier in einem innenpolitischen Verständnis des globalen Phänomens verharren, welches die Handlungsmacht einer restriktiven Schweizer Gesetzgebung massiv überschätzt. Zudem ist in verschiedenen europäischen Ländern zu beobachten, dass die Konstruktion einer vermeintlich hohen Asylattraktivität des eigenen Landes regelmässig als Strategie dient, um restriktivere Asylgesetze zu legitimieren. Ein solcher Diskurs basiert jedoch nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Viel konstruktiver wäre eine internationale Perspektive auf Asyl und Flucht, welche multilaterale Kooperation im Sinne von Solidarität über Lastenteilungsmechanismus für die Lösung der aktuellen Flüchtlingskrisen heranziehen würde.

Ermüdung der Schweizer Asyldebatte

So werden auch die neuesten Asylverschärfungen den aktuellen Herausforderungen im Schweizer Asylbereich nicht gerecht. Das selbst diese Scheinlösungen bei den Mitteparteien regen Zuspruch finden, lässt auf eine Ermüdung des Schweizer Asyldiskurses schliesssen. Diese Ermüdung lässt sich in der Versteifung auf populäre Ansätze, wie einer besonderen Asylattraktivität der Schweiz oder einer Versicherheitlichung der in erster Linie humanitären Asylthematik, erkennen. Die Debatte verschliesst sich so der Möglichkeiten einer multilateralen Kooperation. Die neuen Asylgesetzverschärfungen sind Nebelpetarden seitens der Schweizer Legislative, die weder die Machtlosigkeit einer unilateralen Politik noch deren Versteifung auf populäre Scheinrezepte verbergen kann.

David Kaufmann studierte Politikwissenschaften (M.A.) in Zürich.

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