Zuerst die Finanzkrise, nun die Flüchtlingskrise: Griechenland ist überfordert und fühlt sich von der Europäischen Union im Stich gelassen. Es ist an der Zeit, dass mit Athen in einer anderen Stimme gesprochen wird.
Kos, Chios, Lesbos und Rhodos: Früher verband man mit den Inseln wunderschöne Urlaubstage, nun sind sie zu einem Synonym für die Flüchtlingskrise geworden. Täglich kommen tausende Migranten aus dem Nahen Osten beim Tor Europas an, um den Gräueltaten des Krieges und der Armut zu entfliehen. Die ehemaligen Tourismusmekkas machen was sie können, um die Migranten so gut es geht zu unterstützen, doch es fehlt eigentlich an allem, von Unterkünften über Essen bis medizinische Versorgung. Griechenland, das Land der Krisen, wenn man so will. Es ist geradezu ein bitterer, geographischer Zufall, dass gerade dieses wirtschaftlich-angeschlagenes Land die erste Anlaufstelle der Flüchtlinge ist, denn mit immer mehr Menschen und weniger Hilfsmittel entwickelt sich die Lage zu einer humanitären Notsituation. Von der EU wird Griechenland bezichtigt, seine Grenzen nicht ordentlich zu kontrollieren und generell seine Hausaufgaben nicht gemacht zu haben.
Nun scheint sich die Lage immer mehr zuzuspitzen: Einsatz von Tränengas an der griechisch-mazedonischen Grenze, ad hoc-Lager an den Athener Syntagma und Omonia Plätzen und ein leichter diplomatischer Eklat mit Österreich. Der Schweizer Nachbar hatte eine Konferenz mit den Westbalkan Staaten organisiert um über Flüchtlingsbegrenzung zu diskutieren, Griechenland war jedoch nicht vertreten. So rief der griechische Aussenminister Nikos Kotzias seinen Botschafter aus Wien zurück und die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wurde ein Besuch in Athen verwehrt.
Der falsche Ton
Hierbei erschliesst sich die Frage des europäischen Umgangs miteinander. Denn wie darf man eine Zusammenfindung und Übereinstimmung erwarten, wenn der Dialog entfällt und durch die Angst des anderen permanent neues Öl ins Wasser gegossen wird?
Von einer zugespitzten Lage kann man auch hinsichtlich des kürzlich-stattgefundenen EU-Türkei Gipfels sprechen. Hierbei erklärte sich die Türkei dazu bereit, Flüchtlinge von den griechischen Inseln zurück aufs türkische Festland zu holen, um dann syrische Migranten direkt in die EU zu schicken. Manche feierten dies als kleinen Durchbruch; Premierminister Alexis Tsipras warnet vor zu viel Euphorie und die UNO zeigte sich als not amused. Tage später widersprach sich der türkische Europaminister Volkan Bozkır. Demnach will die Türkei nur Flüchtlinge zurücknehmen, die „nach einer etwaigen Einigung mit Brüssel auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen“.
Griechenland zählt mittlerweile an die 42’000 Flüchtlinge im Lande, wovon alleine 12’000 in Idomeni auf die Weiterreise warten. Obwohl man laut Bürgerschutz Minister Nikos Toskas versucht, auf die Schliessung der Balkanroute aufmerksam zu machen, hoffen die Flüchtlinge weiterhin auf eine baldige Öffnung der Grenzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Desintegration als Realität
Ein interessanter Aspekt ist die Art und Weise, wie gesamteuropäische Probleme durch die griechischen Krisen eine veritable Verkörperung erfahren. Anders ausgedrückt, die Krisen haben die grundlegenden Schwierigkeiten der Union ans Tagelicht gebracht. Denn während die Finanzkrise nun zu einer Symbolik für das unwirtschaftliche und unzufriedene Europa geworden ist, bietet die Flüchtlingskrise eine Metapher der gegenwärtigen Hoffnungslosigkeit und Hinterfragung der eigenen Moral. Ein Orakel von Delphi-Effekt? Fakt ist, die Desintegration des Kontinents wird langsam aber sicher zu einer Realität. Ausgrenzungen anderer Mitgliedsstaaten, neues in Fragestellen europäischer Werte sowie Aufkommen von Nationalismus-Bewegungen gehören derzeit zur Thematik.
Einen Versuch, Europa wieder näher zusammenzubringen, kommt aus Griechenland. Anfang Februar hatte der ehemalige Finanzminister Yanni Varoufakis zusammen mit dem kroatischen Philosophen Srecko Horvat zur neuen Bewegung DiEM25 in Berlin aufgerufen. Ihr Appell: „Democratise Europe! For the EU will either be democratised or it will disintegrate!“. Ein Hoffnungsschimmer für ein Europa in der Sackgasse?
Im Zuge der Flüchtlingskrise ist es daher unerlässlich, sich eine paneuropäische Strategie anzueignen, statt mit dem Finger auf das angebliche Nichtagieren anderer Mitgliedstaaten zu zeigen. Dies gilt insbesondere für Griechenland: Es wäre naiv zu denken, dass seine Ausschliessung zu einer effizienteren EU-Politik oder einem besseren Management der Flüchtlingskrise führen würde. Es bleibt dabei oft unbeachtet, dass Griechenland ein wertvoller Partner ist. Als Tor zum Orient kann Hellas nicht nur in Sachen Aussenpolitik agieren, sondern auch seine besondere Stellung in der Regionalpolitik des Westbalkans (insbesondere zu Serbien) geltend machen. Wenn sich die Rhetorik zu Griechenland ändert, so hat dies auch einen positiven Effekt im Lande selbst: Die Griechen fühlen sich wieder als Teammitglied, und nicht als Beobachter in der Zuschauertribüne.