Von Flavia Kleiner und Eric Schneider – Im vergangenen Jahr sah noch alles nach einem klaren Sieg für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei den bevorstehenden Parlamentswahlen am 22. Januar aus: Die nuklearen Bemühungen Irans, der Konflikt in Gaza und der einseitige Vorstoss der Palästinenser in der UNO schienen ihm in die Karten zu spielen. Doch dann kam Naftali Bennett.
Spiegelbildlich für den aktuellen Wahlkampf stand der Auftritt des Senkrechtstarters Naftali Bennett vergangene Woche. Vor versammelter internationalen Presse, Angehörigen des diplomatischen Korps und einigen Studenten stellte er sich gemeinsam mit drei Kontrahenten einer Debatte zur Aussenpolitik in den Räumen der Hebräischen Universität in Jerusalem. Bereits mit seinen einleitenden Worten macht Naftali Bennett klar, dass er eigentlich gar nicht genau wisse, warum er hier sei: schliesslich gäbe es hier weder Wählerstimmen zu gewinnen noch sei Aussenpolitik das entscheidende Thema dieses Wahlkampfes.
Das Interesse der Presse wiederum widerspiegelt gut die beherrschenden Themen des vergangenen Jahres. Es geht um das Atomprogramm Irans, den Gaza-Konflikt und die Frage des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses, den Gang Palästinas zur UNO und die darauffolgende Ausweitung der israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland (von Naftali Bennett liebevoll Judäa und Samaria genannt) und Ost-Jerusalem.
Keiner dieser Themenkomplexe vermag es Yitzhak Hanegbi, welcher den in der letzten Amtszeit regierenden Zusammenschluss aus Likud und Yisrael Beitenu vertritt, aus der Reserve zu locken. Losgelöst von inhaltlichen Aussagen betont er immer wieder, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu von der Likud-Partei schon in den vergangenen Jahren bewiesen hätte, der richtige Mann für diese Aufgaben zu sein. Bereits in der vergangenen Amtszeit wurde die nationale Sicherheit des jüdischen Staates stark betont: Für Likud war es dann auch das iranische Atomprogramm, welches in der kommenden Amtsperiode die wichtigste aussenpolitische Herausforderung darstellen wird.
Yisrael Beitenu nun gegen ‚Jüdisches Haus‘
Der Koalitionspartner Yisrael Beitenu (Israel unser Haus), die stark von Einwandern aus der ehemaligen Sowjetunion geprägt ist, gilt als reaktionäre rechte Partei, die für die regionale Befriedung mit den Palästinensern Territoriums- und Bevölkerungsaustausch vorsieht. Des Weiteren setzt sich die Partei dafür ein, den Einfluss von religiösen Gruppierungen zu vermindern und im Zuge dessen auch israelische Araber und ultra-orthodoxe Juden zum Militärdienst zu verpflichten.
Wer Naftali Bennett live erlebt, versteht recht schnell, warum er im Moment so erfolgreich ist. Seine Konzepte sind so einfach wie beliebt: Er hält weder etwas von der Gründung eines souveränen Palästinenserstaates an der Seite Israels, noch von einem Stopp des Siedlungsbaus. Das Momentum der israelischen Politik ist mit dem Mann, der auf ein bisher kurzes aber höchst erfolgreiches Leben zurückblickt: hochgedienter Militär in der Anti-Terror-Spezialeinheit Sajeret Matkal, Gründer einer Software-Firma und nach deren Verkauf Multi-Millionär, anschliessend im politischen Einsatz für die Siedlerbewegung. Der grösste Coup gelang ihm wohl als Stabschef des damaligen Oppositionsführers Benjamin Netanjahu von 2006 bis 2008, der anschliessend zum zweiten Mal Ministerpräsident wurde. Doch in diesem Moment trennten sich die Wege von Naftali Bennett und Benjamin Netanjahu – nun sind sie die grössten Konkurrenten beim Stimmenfang im gemässigt rechten, nationalistischen Lager. Die Partei Habait Hayehudi (‚Jüdisches Haus‘), welcher Naftali Bennett vorsteht, setzt sich hauptsächlich für den von Naftali Bennet entworfenen „Stability-Plan“ ein: Dieser sieht die Annektierung von Teilen des Westjordanlandes statt eines Siedlungsstopps vor und erlaubt im übrigen Teil eine palästinensische Selbstregierung anstelle eines souveränen Palästinenserstaates.
„Livni neu im wahren Zentrum“
Ebenfalls vertreten bei der Debatte war die Partei Hatunah (die ‚Bewegung‘), welche erst Anfang Dezember 2012 von der vormaligen Aussenministerin Tzipi Livni gegründet wurde. Die Partei definiert sich selbst als das „wahre Zentrum“ des politischen Spektrums Israels und mit einem starken Akzent auf die Wiederbelebung des Friedensprozesses mit der palästinensischen Regierung. Innenpolitisch strebt die Partei nach einem Wandel der Prioritäten hin zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und mehr sozialer Gerechtigkeit, was eine gerechtere Aufteilung der ‚nationalen Bürde‘ des Militärdienstes unter allen Bürgern des Staates Israel einschliesst. Da Tzipi Livni nicht darauf hoffen darf, dass Hatnuah stärkste Partei wird, versucht sie bereits vor den Wahlen ein Bündnis zwischen einigen linken und zentristischen Parteien zu schmieden um Benjamin Netanjahu abzulösen.
Unbeantwortet wird wohl eine Frage bleiben, die sich am Ende der Veranstaltung geradezu aufdrängte. Nahezu alle Kandidaten waren sich darin einig, dass es insbesondere innenpolitische, sozio-ökonomische und soziale Fragen seien, welche den Wahlkampf und den Ausgang des Wahlabends bestimmen. Im Widerspruch zu aktuellen europäischen Erfahrungen, vermögen es die Parteien des linken Spektrums in Israel aber nicht, diese für sich zu nutzen. Obwohl die Bilder der grössten sozialen Proteste des Landes im Sommer 2011 noch im Gedächtnis sind, dringen die Konzepte der linken Parteien nicht zum Wähler durch, so dass es immer noch Benjamin Netanjahu ist, dessen Regierung eine Lösung von Problemen wie hohen Lebenshaltungskosten am ehesten zugetraut wird. Auch deshalb ist Naftali Bennett so erfolgreich: Seine Partei vermittelt gerade deshalb so glaubhaft, dass es ihr um eine Verbesserung der Lebensgrundlage der Israelis geht, weil sie sich eben nicht sonderlich um den Friedensprozess mit den Palästinensern kümmert.
Flavia Kleiner studiert Zeitgeschichte und Rechtswissenschaften an der Universität Fribourg. Momentan studiert sie an der Hebrew University in Jerusalem. Sie ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppen Völkerrecht und Menschenrechte/humanitäre Politik.
Eric Schneider studiert Internationale Beziehungen in Berlin und Potsdam. Zurzeit befindet er sich zur Vorbereitung seiner Masterarbeit ebenfalls an der Hebrew University, Jerusalem.
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