Von Florian Rittmeyer – Das EDA, foraus und das GDI riefen im Juni einen Netzwerker nach Bern, der sonst selbst die führenden Denker und Lenker einlädt. Nicolas Berggruens Vision von guter Regierungsführung ist ebenso simpel wie herausfordernd: West und Ost müssen voneinander lernen.
Es ist der Traum vieler Technologie-Evangelisten: das ultimative Smartphone. Ein solches Gerät hätte – Achtung, es folgt eine Auflistung der derzeit technisch besten Elementen von Mobiltelefonen – das Gorilla-Glas-Display des Samsung Galaxy S4, das Aluminiumgehäuse des iPhone 5, einen Snapdragon-Prozessor von Qualcomm, die Lautsprecher des HTC One und die wasserdichte Hülle des Sony Xperia Z. Die Nutzer dieses Non-Plus-Ultra-Geräts könnten ausserdem jederzeit entscheiden, welches Betriebssystem sie bevorzugen.
Der Finanzinvestor und poltitische Vordenker Nicolas Berggruen ist auf der Suche nach dem politischen Pendant eines solchen Non-Plus-Ultra-Geräts. Wenn er aber Leute wie den sudanesisch-britischen Mobilfunkunternehmer Mo Ibrahim trifft, geht es nicht um Mobiltelefonie. Im Zentrum solcher Begegnungen steht stattdessen die Verbesserung von Regierungstechnologie – und damit die Zukunft unserer Welt. Am selben Tisch sitzen Persönlichkeiten vom Range des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble, des Google-Präsidents Eric Schmidt oder des chinesischen Regierungsflüsterers Zheng Bijian. Denn: Grossinvestor Berggruen sammelt nebst Kunst und ertragreichen Unternehmen auch eine Menge einflussreicher Kontakte.
Kürzlich hat er seine Vision in Buchform gegossen: Intelligent Governance for the 21th Century. Das Ziel des Drahtziehers verschiedenster Initiativen für politische Reformen ist nichts weniger als die Entdeckung eines ultimativen Regierungssystems. Und dieses soll auf dem Boden des gegenseitigen Lernens gedeihen.
Eine Gratwanderung mit Absturzgefahr
Im Juni dieses Jahres wurde Nicolas Berggruen vom EDA, foraus und vom Gottlieb Duttweiler Institut dazu gerufen, seine eigenen Ideen im Berner Hôtel de Musique zu präsentieren.
Die gute Nachricht ist: global betrachtet ist das Lernpotential ebenso enorm wie unausgeschöpft. Die Region, die Westler als Westen bezeichnen, sieht, wie Partikularinteressen das US-Politsystem lähmen, Kalifornien in einer demokratische Sackgasse steckt, und die Europäische Union an ihren Konstruktionsfehlern krankt. Zu den Betriebsstörungen des für den Osten stehenden Chinas zählen derweil grassierende Korruption, ein Fehlen von Rechenschaftspflicht und mangelnde demokratische Legitimität. Der Regierungsingenieur Berggruen sieht das Rezept für all diese wirtschaftspolitischen Mängel darin, dass der Westen vom Osten lernt – und vice versa. Konkret: Chinas Lenker könnten einen Kurs in politischer Legitimität gebrauchen, während sie den Westen in langfristigem Denken und dem Bestehen von Politikerprüfungen unterrichten.
Es gleicht einer Gratwanderung, in der Politik die angestrebte Mischung zwischen Legitimität (Wahl dank Popularität) und Meritokratie (Aufstieg dank Verdiensten) zu finden. Um auf diesem Grat die Orientierung zu behalten, widmet sich Nicolas Berggruen unter anderem auch dem System der Alpenrepublik Schweiz. Nicht etwa, weil ihm während seiner Zeit im Internat in Le Rosey helvetische Errungenschaften eingetrichtert worden wären. Er nimmt sich einfach zum Vorbild, was funktioniert. Vielleicht, so Nicolas Berggruen, sollte die Schweiz ihr Wissen über funktionierende Institutionen der Demokratie und des Föderalismus gar zum Exportschlager machen.
Vernetzt euch!
Wenn Nicolas Berggruen solche Loblieder singt, ergänzt David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut, dass die Schweiz über viele Zutaten verfüge, die Erfolg in einer technologiegetriebenen und nach Transparenz verlangender Welt verheissen. So weit, so gut. Doch vom Status eines Non-Plus-Ultra ist die Schweiz weit entfernt.
Worin besteht also der Lernstoff? Aus Diskussionen im Hôtel de Musique können einige Empfehlungen abgeleitet werden, deren Umsetzung freilich einer schwierigen Bergwanderung mit sich stets verschiebendem Gipfel gleicht. Erstens, können Vertreter der Schweizer Diplomatie am Beispiel des Berggruen Institute on Governance sehen, dass eine durch private Akteure vorangetriebene «Track II-Diplomatie» effizienter sein kann als ihre offiziell-staatliche Schwester. Die Zusammenarbeit beider Bereiche ist darüber hinaus stark ausbaubar. Gleiches betrifft die Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft.
Zweitens, die Bedeutung von sogenannten Public Private Partnerships dürfte künftig (wieder) zunehmen. Der swissnex-Ansatz mit Aussenposten für Wissenschaft, Start-ups und Technologie geht in diese Richtung. Kooperation mit Akteuren der Wirtschaft bergen immer auch Risiken. Klare Richtlinien für Korruption und Anforderungsprofile für verlässliche Partner können helfen, Partnerschaften dieser Art einen legitimen Rahmen zu geben.
Und nicht zuletzt sind direkte Kontakte nach wie vor die entscheidende Stärke, um Konflikte zu lösen. Dabei gilt der altbekannte Grundsatz, dass man sich besser bei schönem Wetter auf Stürme vorbereitet, als wenn der Wind schon Stufe 8 auf der Beaufort-Skala erreicht hat. In Krisen können jene Kontakte genutzt werden, die zuvor (ohne direkten Nutzen) aufgebaut und gepflegt worden sind. Für die institutionalisierte Vernetzung ist entsprechender Unterrichtsstoff bereits reichlich vorhanden. Denn vom Scheitern der Swiss Foundation for World Affairs kann die Schweiz dabei ebenso lernen, wie von der erfolgreichen Organisation internationaler Konferenzen im Prättigau. Das Beste an all dem: für die Pflege von guten persönlichen Beziehungen bedarf es nicht mal eines ultimativen Non-Plus-Ultra-Smartphones. Sondern vor allem Persönlichkeiten, die bewegen.
Florian Rittmeyer (Jahrgang 1982) hat am IHEID internationale Geschichte und Politik studiert. Er ist Redaktor für Politik und Wirtschaft des «Schweizer Monats» und ist Mitglied in den foraus Programmen «Europa» und «Wirtschaft und Finanzplatz».
Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungnahmen der Autoren/innen Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.