MEI: Der Schaden ist angerichtet – und nicht kostenlos zu reparieren

Migration

Der Vorschlag, EU-Bürgerinnen und Bürgern Schadenersatz zu entrichten, bereichert die MEI-Umsetzungsdebatte. Die Idee von Schadenersatzzahlungen vermag als einziger Umsetzungsvorschlag aufzuzeigen, welche hohen Kosten Migrationsverhinderung verursacht und dass jemand für diese Kosten aufkommen muss.

 

Mit der Idee von Schadenersatzzahlungen lancierte foraus-Mitglied Stefan Schlegel kürzlich einen neuen Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI). Die Personenfreizügigkeit (PFZ) räumt EU- und EFTA-Bürgerinnen und Bürgern unter gewissen Bedingungen einen Anspruch auf Einwanderung ein. Eine Arbeitsstelle in der Schweiz ist der bedeutendste Fall, in dem ein solcher Anspruch besteht. Wird dieser werthaltige Anspruch aberkannt, gleicht dies einer Enteignung. Schadenersatzzahlungen für EU Bürgerinnen und Bürger müssten einen adäquaten Gegenwert darstellen, damit die EU eine solche Migrationseinschränkung akzeptieren könnte.

Reaktionen auf den Vorschlag folgten prompt und plump. Online-Kommentarschreiber reagierten verstört und Prof. Freiburghaus bewertete den Vorschlag als lustig aber nicht zielführend (ab 13:30 min). Eine tiefergehende Auseinandersetzung blieb jedoch aus. Dieser Blog-Beitrag analysiert das Schadenersatz-Modell anhand der zwei MEI-Dilemmas. Das innenpolitische Umsetzungsdilemma besteht aus den divergierenden Zielen des Initiativtextes: Steuerungsinstrumente der MEI vs. gesamtwirtschaftliches Interesse (siehe foraus-Diskussionspapier „Gefangen im Nullsummenspiel). Das aussenpolitische Dilemma liegt in der Aufrechterhaltung des EU-Marktzuganges der Schweiz bei gleichzeitiger Einschränkung oder Kündigung der PFZ.

Innenpolitisches Dilemma: Kontingente und Inländervorrang könnten gekauft werden

Der grosse Vorteil des Schadenersatz-Systems ist die Internalisierung von Externalitäten, welche von Migrationsverhinderung verursacht werden. Funktioniert das System optimal, würde die Schweiz genau so viel Migration zulassen, wie gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist. In einem solchen Optimalzustand käme es wohl zu wenig bis keiner Abwehr von Migration. Die Schweiz besässe zwar rechtliche Möglichkeiten, Migration im Sinne der MEI einzuschränken, die Aktivierung dieser Möglichkeiten würde aber sehr wahrscheinlich unterlassen werden.

Im heutigen politischen Kontext wäre jedoch ein Szenario wahrscheinlicher, das eine Reduktion der Zuwanderung dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen vorzieht. In diesem Fall könnten Kontingente und Inländervorrang erkauft werden. Der Preis wären Schadenersatzzahlungen an EU-Bürgerinnen und Bürger plus der Verlust von positiven Externalitäten von abgewehrten Migrantinnen und Migranten. Zudem würde es ein kompliziertes Verfahren zur Festlegung der Schadenssumme mit sich bringen.

Aussenpolitisches Dilemma: Konflikt von Werten nicht von Kosten

Schadensersatzzahlungen erlauben der Schweiz Kontingente und Inländervorrang einzuführen, ohne dabei die EU und ihre Bürgerinnen und Bürger schlechter zu stellen. Die Lösung wäre somit pareto-optimal und könnte das aussenpolitische Dilemma auflösen. Schlegel argumentiert, dass die EU wahrscheinlich auch zustimmen könnte, da der „Fall Schweiz“ die hohen Kosten von Migrationsabwehr für EU-Mitgliedstaaten offenlegen würde.

Doch es sind in erster Linie nicht materielle Gründe, warum die EU Verhandlungen über die PFZ ablehnt. Die PFZ ist längst zu einem Wert gereift, der eine Daseinsberechtigung des europäischen Projektes liefert. Der Schaden, den die Schweiz anrichtet, ist daher grösser als die rein materiellen Verdiensteinbussen. Insbesondere die neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten schreiben der PFZ nicht nur einen ökonomischen sondern auch einen ideellen Wert zu. Die Schweiz müsste aushandeln, ob und wie hoch man diesen ideellen Wert entschädigen könnte.

Isn’t it easy to avoid the accident?

Die MEI-Annahme gleicht einer gewollten Kollision mit der EU. Überlegungen, wie man diese Schäden kompensieren könnte, sind zielführend, da sie uns die hohen Kosten von Migrationsabwehr vor Augen führen. (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Bewusstwerden des Wertes von Migration

Als Hauptbeitrag zur MEI-Debatte erachte ich folgenden Punkt: Die Schweiz muss sich sehr gut überlegen, welche Fälle von Arbeitsmigration sie abwehren will und welchen Betrag ihr dies wert ist. Wenn der politische Wille jedoch ausdrücklich eine Reduktion der Arbeitsmigration verlangt, dann kann die Schweiz dies (nur) unter hohen Kosten tun. Das Problem der MEI ist jedoch, dass sie Migration eindämmen will, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Der hier diskutierte Vorschlag ist zielführend, da er in der MEI-Umsetzungsdebatte als einziger aufzuzeigen vermag, wie wertvernichtend staatliche Migrationsabwehr ist und dass ein Staat in der einen oder anderen Form dafür aufkommen muss, wenn er diese Wertvernichtung trotzdem umsetzen will.