Post-15-Agenda: Papiertiger oder revolutionärer Gesellschaftsvertrag?

Entwicklungspolitik

Rahel Loretan – In der Post-2015-Agenda sollen Entwicklungsziele mit Umweltstandards in einer universellen Nachhaltigkeitsagenda verbunden werden. Für die Umsetzung dieser Vision in die Realpolitik braucht es einen Paradigmenwechsel. Das wird viel Überzeugungsarbeit brauchen, ist in einer globalisierten Welt aber unumgänglich.

Sustainable Development Goals – Die Blogreihe

Dieser Beitrag erscheint anlässlich des “Special event on the follow-up of the Millenium Development Goals”, welcher im Rahmen der UNO-Generalversammlung stattfand und ist Teil einer Blog-Reihe zu den Sustainable Development Goals (SDG). Diese Blog-Reihe reflektiert bis Mitte Oktober verschiedene Aspekte dieser zukünftigen Entwicklungsagenda.

Im Jahr 2000 wurde die Millennium Declaration mit acht Zielen, den Millennium Development Goals (MDG), verabschiedet. Diese sahen einschlägig die Halbierung der Armut bis 2015 vor. Seither wurden in einigen Bereichen Fortschritte erzielt, zum Beispiel beim Zugang zu Trinkwasser. Zwei Jahre vor Ende der Frist zeigt sich aber, dass viele Ziele bei weitem nicht erreicht sind und grosse regionale Unterschiede bestehen.

Kritiker bemängeln, dass die MDG relevante Themenfelder vernachlässigt haben (Klimawandel, Konfliktgebiete), Armut vor allem unter ökonomischen Aspekten begreifen sowie keine strukturellen Massnahmen beinhalten. Weitere Kritik betrifft die Erarbeitung der Ziele, da es sich dabei um einen top-down Prozess ohne Einbezug der direkt Betroffenen gehandelt habe. Kaum umstritten ist jedoch, dass die MDG durch ihre klare Ausrichtung eine wichtige Grundlage für die Messbarkeit von Armut geschaffen und eine Mobilisierung der Staatengemeinschaft bewirkt haben. Ausserdem haben die Ziele die Diskussion über menschliche Entwicklung auf die globale Agenda gesetzt.

Aus Fehlern lernen

Die Post-2015-Agenda soll nun die Schwächen der MDG bereinigen und die Stärken weiterführen. Verschiedene Reports liegen bereits vor, unter anderem der High Panel Report der Vereinten Nationen, der Corporate Sustainability Report des Global Compact, eine Aktions-Agenda des Sustainable Development Solutions Network sowie ein Report des UNO-Generalsekretärs Ban Ki-Moon. Noch immer geht es darum, extremer Armut entgegenzuwirken, diese will man aber umfassend und universell angehen.

Diese Nachhaltige Agenda, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG), soll mit Umweltthemen, basierend auf der Rio+20-Konferenz von 2012, sowie globalen Wirtschaftsfragen, Friedensmassnahmen und politischer Transparenz verknüpft werden. Mit den SDG will man die globalen Herausforderungen also transversaler und kohärenter angehen. Die neue Agenda betrachtet nachhaltige Entwicklung nicht mehr nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus sozialer und ökologischer Perspektive. Armut wird als multidimensionales Problem, abhängig von lokalen Gegebenheiten, betrachtet. Die Dichotomie zwischen Nord und Süd soll durch die SDG überwunden werden. Eine globale Partnerschaft wird angestrebt, in der Hochentwickelte- wie auch Schwellen- und Entwicklungsländer ihren Beitrag leisten müssen.

Zahlen alleine reicht nicht

Dieser gesamtheitliche Ansatz ist erstrebenswert. Er wird aber nicht nur auf der Stufe der Entwicklungszusammenarbeit umsetzbar sein, sondern erfordert tiefgreifende Veränderungen unseres Denkens und Handelns. Diese globale Partnerschaft käme einem neuen, weltweiten Gesellschaftsvertrag gleich. Da die SDG aber im Vergleich zu den MDG umfassender sind, wird es auch schwieriger, klar kommunizierbare und messbare Ziele zu formulieren, welche auf ihre Wirksamkeit überprüft werden können. Auch werden mehr finanzielle Mittel notwendig sein, für die sich die einzelnen Staaten auf nationaler Ebene rechtfertigen müssen.

Während die Rolle der hochentwickelten Länder bei den MDG mehrheitlich auf die Bereitstellung finanzieller Ressourcen beschränkt war, wird für die erfolgreiche Umsetzung der SDG mehr politisches Commitment notwendig sein. Diese Vision wird daher noch viel Überzeugungsarbeit brauchen. Die Debatte darüber ist aber wichtig und dringend nötig, um globale Herausforderungen anzugehen.

Heisse Eisen anfasssen

Auch in der Schweiz hat man begonnen, sich mit dem Prozess nach 2015 auseinander zu setzen (SDG-Plattform). Wenn die SDG als internationales Rahmenwerk in Kraft treten, werden innenpolitisch heikle Themen angesprochen, etwa das Bankgeheimnis, der Ressourcenverbrauch oder die Agrarsubventionen. Im Grunde würde dies die Herauslösung der Ziele aus dem Kontext der Entwicklungszusammenarbeit und den Wandel zu einer kohärenten Innen- und Aussenpolitik bedeuten. Damit diese Veränderungen politisch umsetzbar sein werden, braucht es ein breites Verständnis der Öffentlichkeit.

Es gilt aufzuzeigen, dass die Schweiz in einer komplexen, globalisierten Welt abhängig von Geschehnissen auf dem Globus ist und ihr eine solche Agenda zugutekommt. Dazu braucht es eine Diskussion auf verschiedenen Stufen der Gesellschaft. Ausserdem sollte die Schweiz als Wissensgesellschaft bereits im Entstehungsprozess der Agenda eine proaktive und vermittelnde Rolle einnehmen, um einen Beitrag an die globalen Herausforderungen zu leisten.

Rahel Loretan (31) hat Gesellschaftswissenschaften in Fribourg studiert und lebt in Bern. Sie ist Mitglied des Programms Entwicklungspolitik bei foraus.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungnahmen der Autoren/innen Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.