Jacques Tissot – Die Sustainable Development Goals (SDGs) sollten sich verstärkt an den Menschenrechten orientieren. Dadurch wird die nötige Grundlage zu einer nachhaltigen Entwicklung geschaffen.
Sustainable Development Goals – Die Blogreihe
Dieser Beitrag ist Teil einer Blog-Reihe zu den Sustainable Development Goals (SDG). Diese Blog-Reihe reflektiert bis Ende Oktober verschiedene Aspekte dieser zukünftigen Entwicklungsagenda.
Inklusive Institutionen sind für ein nachhaltiges Wachstum unentbehrlich. Dies wurde neulich auch von Daron Acemoglu und James Robinson in ihrer wirtschaftsgeschichtlichen Analyse „Why Nations Fail“ bestätigt. Die Menschenrechte zielen darauf ab, den Rahmen für solche Institutionen zu kreieren, welche der Gesellschaft die notwendigen Instrumente für deren Entwicklung zusprechen.
Entwicklung als Befähigung
Armut ist gemäss Nobelpreisträger Amartya Sen ein Freiheitsentzug. Gleichzeitig ist sie aber eine Chance zur Entfaltung. Ein armer Mensch besitzt ein Potenzial, welches durch dessen Entwicklung befreit werden kann. Diese Definition der Armut hat dem Begriff des Liberalismus nach Jahren der einseitigen Auslegung (Washington Consensus) eine neue Bedeutung verliehen. Ganz im Sinne des Ökonomen heisst Entwicklung Befreiung bzw. Befähigung. Bei einem armen Zustand geht es nicht nur um finanzielle Knappheit: der Mensch kann beispielsweise auch intellektuell, politisch, sozial oder kulturell arm sein. Konkret heisst es, dass die Gesellschaft einen Rahmen erstellen sollte, wo sich Verwirklichungschancen (capabilities) ausweiten können, um die Armut zu beseitigen.
Amartya Sens Theorie stellt in der Geschichte der Entwicklungstheorien einen Meilenstein dar. Eine Entwicklung kann erst als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sich die Freiheiten einander valorisieren und dabei das ökologische, das soziale und das ökonomische System im Gleichgewicht bleiben. In diese Theorie lassen sich diese drei Dimensionen der Nachhaltigkeit integrieren, auf welchen die Post-2015-Agenda gründen will. Die primäre Herausforderung für die nächste Entwicklungsagenda wird darin bestehen, ein solches System zu schaffen, das eine inklusive Entwicklung ermöglicht. Der Grundstein dazu wird mit der Förderung der Menschenrechte gelegt.
Menschenrechte, die Basis für Verwirklichungschancen
Der menschenrechtliche Ansatz ist für eine nachhaltige Entwicklung sinnvoll, weil er ein Minimum vorsieht, bei dem die Schwelle der menschlichen Würde erreicht wird – daraus stammt auch der Universalitätscharakter der Menschenrechte. Sie sind die Basis zur Ausweitung von Verwirklichungschancen und bilden den Prüfstein für wünschenswerte Entwicklungen. Diese Allgemeingültigkeit will dennoch nicht einspuriges Wachstum heissen. Der Kultur kommt dabei eine grosse Bedeutung zu. Sie ist für die Identität der Menschen wesentlich und repräsentiert wohl ein Fundament, auf welchem sich die Menschenrechte entfalten könnten. Durch sie können sich die Völker in deren Vielfältigkeit entwickeln.
Die Post-2015-Agenda möchte verhindern, dass Gruppen auf dem Weg zur “Moderne” zurückgelassen werden. Amartya Sens Theorie sowie die Menschenrechte sind deshalb eine gute Grundlage, weil sie nicht nur die “andern”, sondern uns alle betreffen. In jeder Region der Welt finden sich somit Verbesserungspotenziale. Dies zwingt uns, über die gewöhnliche Nord-Süd-Aufteilung oder die Gegenüberstellung von entwickelten und unterentwickelten Ländern hinauszugehen.
Den Herausforderungen der Zukunft begegnen
Eines der grossen Themen, die uns in der Zukunft auch beschäftigen werden, ist der Klimawandel. Unter dieser Perspektive enthält der Menschenrechtskatalog Ansprüche, die direkt auf Massnahmen zum Umweltschutz verweisen. Zum Beispiel hat das Recht auf Leben viele Implikationen und bezieht sich gleichzeitig auf alle anderen Menschenrechte. Wer leben will, soll beispielsweise eine angemessene Ernährung sowie sauberes Trinkwasser erhalten, was auch den Schutz der Umwelt voraussetzt. Und dies hat unter anderem zur Folge, dass die Produktion und der Konsum von Ressourcen nachhaltig keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben sollten. Nun könnte der Skeptiker behaupten, dass Menschen immer wieder mit unvorhersehbaren, für sie negativen Ereignissen konfrontiert werden. Das ist richtig, dennoch sind die Menschenrechte – wie gesagt – ein Minimum. Sie ermöglichen der Menschheit, gegen jede Art von Zufällen gewappnet zu sein.
Dass die Schweiz den Fokus auf die Menschenrechte verstärkt legen will, ist begrüssenswert. In der Post-2015-Agenda sollte eine umfassende Strategie entworfen werden, die deren Promotion vorsieht und sie auch systematisch verwirklichen lässt. Sie sollten als Referenz für die Definition der SDGs dienen, denn sie sind auch die beste Antwort auf die vom „High-Level Panel“ erwünschten Veränderungen. Sie lassen nämlich keinen Raum für extraktive Strukturen, welche die natürlichen, humanen und wirtschaftlichen Ressourcen zugunsten einer eigenmächtigen Elite ausbeuten. Schliesslich sollten sie auch auf dem ersten Rang der Prioritäten der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit stehen.
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