Im August hat der Bundesrat endlich Stellung genommen zum UN-Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (TPNW): er sieht „zum jetzigen Zeitpunkt“ von der Unterzeichnung ab. Brisant: als Grund gegen den Beitritt führt der Bund an, die Schweiz könnte sich bei einem Beitritt im Verteidigungsfall nicht „unter einen Nuklearschirm stellen“. Nukleare Abschreckung als Instrument der Schweizer Sicherheitspolitik? ICAN Switzerland findet, dass es hier eine Kurskorrektur braucht und hat eine Petition lanciert. Die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments (APK) werden diesen Monat zum Entscheid konsultiert.
Die Verabschiedung des TPNW am 7. Juli 2017 war ein historisches Ereignis. Der Vertrag ächtet Atomwaffen vollumfänglich, analog zu den anderen Massenvernichtungswaffen (chemische und biologische Waffen). 122 Staaten, darunter die Schweiz, hatten für den Schlusstext gestimmt. 69 haben den Vertrag seither unterzeichnet und 19 haben ihn bereits ratifiziert. Die neun Atomwaffenstaaten und die meisten ihrer Verbündeten hatten die Verhandlungen in ungewohnter Einigkeit boykottiert.
Der Bundesrat stützte seinen Nichtbeitrittsentscheid auf den Bericht einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, der vier Gründe für und fünf gegen den Beitritt auflistet. Der Bericht ist umfassend und detailliert. Er zeugt aber auch vom Unvermögen der Arbeitsgruppe, die bundesinternen Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. In zahlreichen Punkten ist er widersprüchlich und sachlich unfundiert. Zwei Beispiele:
1. Der Bericht bezeichnet den Beitritt zum TPNW als „völkerrechtlich folgerichtig“. Tatsächlich hat der Bundesrat in multilateralen Foren un dem Parlament gegenüber wiederholt erklärt, dass „es kaum vorstellbar sei, wie Nuklearwaffen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht eingesetzt werden könnten“, und dass Nuklearwaffen, „im Interesse des Überlebens der Menschheit unter keinen Umständen je wieder eingesetzt werden“ dürfen. Gleichzeitig führt der Bericht unter den Gründen gegen den TPNW-Beitritt an, dass es der Schweiz als Vertragspartei verwehrt wäre, sich im Verteidigungsfall „unter einen Nuklearschirm zu stellen“. Im Klartext bedeutet das: die Schweiz heisst es unter gewissen Umständen gut, dass in ihrem Namen damit gedroht wird, ganze Städte auszulöschen, unterschiedslos hunderttausende Zivilisten zu töten und weite Landstriche über Generationen hinweg zu versuchen. Dieses Ansinnen entzieht der Schweiz jede Glaubwürdigkeit als Fürsprecherin des humanitären Völkerrechts.
2. Der Bericht hält fest, dass ein rein konventionell deklariertes militärisches Verteidigungsbündnis „vom TPNW nicht […] betroffen“ ist und dass der Vertragstext „grundsätzlich keine rechtlichen Schranken in Bezug auf militärische Kooperation mit kernwaffenbesitzenden Staaten oder Schirmstaaten auf[legt]“. Trotzdm räumt der Bericht der Befürchtung, dass der Beitritt die militärische Zusammenarbeit einschränken könnte, viel Platz ein. Diese Bedenken sind aber unbegründet. Staaten in einem Verteidigungsbündnis mit einem Atomwaffenstaat können dessen „Nuklearschirm“ ablehnen. Die Erfahrungen von Österreich (ein neutrales Land un Nato-Partner für den Frieden wie die Schweiz) und Neuseeland (globaler Nato-Partner) zeigen, dass der Beitritt zum TPNW die Streitkräftebeziehungen und Nato-Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt.
Der Nichtbeitritt hingegen schadet dem internationalen Ansehen der Schweiz und bricht mit ihrer humanitären Tradition. In den Augen der Mehrheit der Staaten verliert die Schweiz durch ihre Orientierung an der Nato ihre Glaubwürdigkeit als neutrale Vermittlerin, was den Schweizer Ansatz des Brückenbauens in Frage stellt. Diese Reputationskosten finden im Bericht allerdings keine Erwähnung.
Die APKs haben bald Gelegenheit, eine Kurskorrektur vorzunehmen. Der Nationalrat hat schon im Juni für eine Motion gestimmt, die den sofortigen Beitritt zum TPNW verlangt. Diese ist nun in der APK des Ständerats hängig. Die APK-Mitglieder sind gut beraten, sich nicht von unbegründeten Bedenken und spekulativen Szenarien leiten zu lassen, sondern von den Vorgaben der aussenpolitischen Strategie 2016-2019. Die humanitäre Tradition und Neutralität der Schweiz bleiben ihre besten Sicherheitsgarantien. Der Beitritt zum TPNW bekräftigt diese Grundsätze der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik.
ICAN Switzerland hat eine Petition (français / deutsch) lanciert, die den Bundesrat zur Unterzeichnung des TPNW aufruft. Am 11. Oktober hat ICAN Switzerland eine detaillierte Analyse des Berichts der Arbeitsgruppe veröffentlichen.
Image: R.Weiss