Beim ganzen Elan im Klimajahr 2019 bleibt vergessen, dass drastische Emissionsreduktionen in der Schweiz allein dem Weltklima nicht viel bringen. Wirksamer wäre ein Fokus in der Klimapolitik auf die Entwicklung von klimafreundlichen Technologien und eine rasche Reduktion in einem bestimmten Sektor. Vor allem der Gebäudesektor bietet sich an, da Gebäude global wichtig fürs Klima sind, die Schweiz ein Vorreiter und rasches Handeln akut ist. Mit einem solchen Fokus liefert die Schweiz für andere Nationen ein anschauliches Beispiel, wie Klimaneutralität bei Gebäuden rasch erzielt werden kann. Auch Auslandsmassnahmen könnten gezielter im gleichen Sektor und einem oder zwei Partnerländern eingesetzt werden.
2019 war das Klimajahr schlechthin: die Jugendbewegung hat den Klimawandel zum Hauptthema in der Gesellschaft gemacht. Nach dem Wahlsieg der grünen Parteien im Oktober scheint es zudem realistisch, dass die vom Ständerat vorgeschlagenen Inland-CO2-Ziele von Netto-Null bis 2050 und 50% Reduktion bis 2030 auch im Nationalrat bestehen werden.
Diese Ziele und die damit verbundenen Massnahmen sind innenpolitisch löblich, aber letztlich für das Weltklima und die Frage, ob die Erwärmung auf 1.5-2 Grad Celsius minimiert werden kann, nur marginal relevant. Der Schweizer Anteil der globalen Treibhausgas-Emissionen beträgt weniger als 0.1% .
Natürlich hat die Schweiz durch ihren hohen Wohlstand und die im Ausland verursachten Emissionen eine viel grössere Verantwortung als nur die 0.1%. was können wir also tun, wenn die Inlandreduktionen alleine global nur bedingt relevant sind?
Wir sollten uns meiner Meinung nach primär fragen, wie die Schweiz grosse Emittenten wie die USA, China oder Indien dazu bewegen kann, selber mehr zu machen. Letztlich wird ein radikaler Wandel in solchen primär vom wirtschaftlichen Wachstum geprägten Staaten nur möglich sein, wenn Klimaschutz-Technologien kostengünstiger werden, und anschauliche Vorbilder für weitgehenden Klimaschutz in bestimmten Sektoren bestehen – siehe das Beispiel der Solartechnologie: massive Förderung vor 15-20 Jahren und damit verbundene Kostenreduktionen haben weltweit, und vor allem in China und Indien zu einem Solar-Boom geführt.
Wenn wir also als Schweiz wirklich etwas für den Klimaschutz bewirken wollen, dann müssen wir unsere Klimapolitik meiner Meinung nach radikal fokussieren und;
- ein anschauliches Vorbild in ausgewählten Sektoren liefern: ich schlage vor, im Gebäudebereich das Ziel zu setzen, bis 2023 ausschliesslich klimaneutrale Neubauten und Sanierungen durchzuführen (ein Vergleich dazu: der Ständerat will bei Altbauten ab 2023 noch maximal 20 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter zulassen, womit Erdgasheizungen weiter zugelassen wä Und dazu sollten wir die internationale Klimafinanzierung (mit Ausnahme der Anpassungsunterstützung) auf 2 Partnerländer fokussieren, um auch diese Partnerländer im Gebäudebereich fit zu machen.
- mehr auf Forschung & Entwicklung neuer Technologien setzen: um die Transformation im Gebäudebereich zu unterstützen, sollten wir einen nationalen Forschungsschwerpunkt zu klimaneutralen Zement und klimaneutralem Bauen aufsetzen, und auch sonstige Instrumente für den Übergang in die Praxi (z.B. Innosuisse) gezielter einsetzen.
Natürlich würde ein radikaler Fokus sowohl massive Investitionen in den ausgewählten Sektoren als auch eine finanzielle Belastung der entsprechenden Akteure (im Falle von Gebäuden z.B. Gebäudebesitzer und Mieter) bedeuten; über die im Parlament geplanten Einnahmen (CO2-Lenkungsabgabe, Flugticketabgabe) stünde aber bis zu CHF 500–1000 Millionen zu Verfügung, um sowohl Kosten (über Subventionen) als auch Risiken (über Garantien) zu übernehmen und gleichzeitig in die Entwicklung neuer Technologien im gewählten Sektor zu investieren.
Weshalb sollte der Fokus im Gebäudebereicht angesetzt werden? Ich sehe 3 wichtige Gründe: 1) Globale Relevanz fürs Weltklima: der Gebäudesektor macht 40% der CO2-Emissionen weltweit aus. 2) Existierendes Schweizer Knowhow: mit hohen Energieffizienz-Standards und Passiv-Energiehäuser seit über 10 Jahren sind wir international stark. 3) akuter Handlungsbedarf: der Gebäudesektor ist geprägt durch lange Investitionszyklen, welche rasches Handeln ökonomisch sinnvoll und fürs Weltklima dringend machen. Bei Renovationsraten von unter 1% und technologischen Lebensdauern von mehreren Jahrzehnten gilt es bei Gebäuden keine Zeit zu verlieren, auch wenn Massnahmen teuer sind. Als Vergleich: Autos werden im Schnitt alle 8 Jahre ersetzt, daher können wir im Transport ohne Problem bis 2050 klimaneutral werden, auch wenn wir erst ab 2035 mit dem Ersatz von alten Fahrzeugen durch neue Elektrofahrzeuge (mit 100% erneuerbaren Strom) beginnen.
Zusätzlich zu diesen inländischen Massnahmen sollte auch mehr auf Forschung & Entwicklung fokussiert werden: als Kleinstaat hat die Schweiz vor allem eine Wirkung durch die internationale Bereitstellung klimafreundlicher Technologien. Im Zusammenhang mit dem Gebäudebereich bietet sich vor allem Forschung & Entwicklung im Zementsektor auf: neben dem Flugverkehr ist der Zementsektor einer der wenigen Emissionsquellen, im dem heute noch nicht klar ist, wie die Emissionen technologisch auf null gesenkt werden können.
Die Fokussierung sollte nicht an den Grenzen halt machen: mit der internationalen Klimafinanzierung (zurzeit 350 und bald 600 Millionen CHF pro Jahr) und der freiwilligen CO2-Kompensation der Treibstoffimporteure (bei heutigem Treibstoffverbrauch über 600 CHF Millionen pro Jahr bei der vorgesehenen Deckelung bei 10-12 Rappen/Liter) stehen bedeutende Geldtöpfe zu Verfügung, mit denen viel im Ausland bewirkt werden könnte. Zurzeit wir das Geld aber an über 10 Länder pro Jahr verteilt, in praktisch alle Sektoren, und darüber hinaus wird es von einer Mehrzahl von Ämtern verwaltet. Statt es allen Bundesstellen, Lobbyisten und Partnerländern recht zu machen, müsste auch bei der internationalen Klimafinanzierung der Mut zum Fokus bestehen: ich schlage vor, (mit Ausnahme von Anpassung) nur 1-2 kooperative Partnerländer unterstützen, um auch den gleichen Sektor (Gebäude) möglichst schnell klimaneutral zu machen. Die Finanzierung könte auch von einer bundesweiten Plattform verwaltet werden, wie das z.B. schon heute mit der ämterübergreifenden REPIC-Plattform in kleinerem Rahmen geschieht; foraus hatte in diesem Zusammenhang auch schon die Idee eines Staatssekretariats fürs Klimafragen aufgebracht.
Der Ausgang der Wahlen bietet eine einmalige Chance, um der Klimapolitik in der Schweiz neue Impulse zu verleihen. Statt für Aktionitis in allen Bereichen sollten wir das Momentum dazu gebrauchen, um konkret, fokussiert und schnell der Welt ein anschauliches Vorbild in einem bestimmten Sektor zu werden, und die entsprechenden Technologie zu fördern: wenn nicht die reiche Schweiz rasch die Klimaneutralität bei Gebäuden (Neubauten und Renovationen) erreicht, wer dann sonst?
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