Uno-Sicherheitsrat und Corona-Krise

Gelegentlich können die nichtständigen, gewählten (elected) Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates („E-10“) mehr bewirken, als allgemein angenommen, wenn die permanenten „P-5“ den Rat blockieren. Das ist gut zu wissen, auch im Hinblick auf die Schweizer Kandidatur für den Sicherheitsrat für die Periode 2023/24.

Natürlich kann ein nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat nicht Berge versetzen. Viele bezweifeln gar, dass überhaupt etwas erreicht werden kann. Die Frage stellt sich in der Schweiz ebenfalls: Im Herbst 2020 wird die Schweiz in New York die Schlussphase ihrer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat für die Periode 2023/2024 einläuten.

Aktuell zeigt sich, dass die nichtständigen Sicherheitsratsmitglieder einspringen müssen, wenn die P-5 sich gegenseitig blockieren, wie es seit Beginn der Corona-Krise teilweise der Fall ist: Der Sicherheitsrat hat zwar durchaus im März weitergearbeitet und Beschlüsse gefasst (u.a. zu Peacekeeping-Operationen), nachdem er sich zuerst auf die Arbeitsmethoden während Corona einigen musste (Videokonferenzen). Aber in der zweiten Märzhälfte blockierte Russland stark, indem es die Videokonferenzen nicht als formelle Sitzungen akzeptierte. Das schränkte die Transparenz ein, da diese Videokonferenzen nicht zugänglich waren. Ende März und anfangs April 2020 beharrten vor allem die USA, aber auch China, auf ihrer Prestige-Position zum Ursprung des Corona-Virus. So verunmöglichten es die Grossen, dass der Uno-Sicherheitsrat sich mit den Folgen der Corona-Krise auf die globale Sicherheits- und Friedenssituation beschäftigt.

NGOs, der Generalsekretär und die Generalversammlung der Uno waren schneller als der Sicherheitsrat:  Uno-Generalsekretär Guterres lancierte am 23. März einen dramatischen Aufruf: «Beendet die Seuche namens Krieg und bekämpft die Krankheit, die unsere Welt verwüstet», sagte er, und «bringt die Waffen zum Schweigen“. Waffenstillstände sind wichtig; z.B. Der Ausbruch der Ebola-Krise 2019 im Kongo zeigte, dass ohne Waffenstillstand eine Epidemie nur sehr viel schlechter bekämpft werden kann. Der Waffenstillstands-Appell wurde bereits von diversen Konfliktparteien weltweit aufgenommen, wenigstens verbal. Am 30. März verlangten die Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Indonesien, Singapur und Ghana, dass die Transparenz der Arbeit des Sicherheitsrates auch in der Corona-Zeit nicht eingeschränkt werden dürfe, und dass dieser sich endlich mit Covid-19 mit Bezug auf Frieden und Sicherheit befassen solle. Am 2. April verabschiedete die Uno-Generalversammlung eine einstimmige Resolution, u.a. für „ein koordiniertes globales Vorgehen gegen die Pandemie und ihre nachteiligen sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen auf alle Gesellschaften“. Zu Covid-19-Folgen auf Konfliktsituationen wird allerdings nichts gesagt.

Und der Sicherheitsrat? Es waren die „Kleinen“, also die Gewählten („E-10“), die für Transparenz und aktive Corona-Politik vorausgingen: Der Vertreter der Dominikanischen Republik, die im April die Präsidentschaft hat, verlangte Ende März, dass Sicherheitsrats-Videokonferenzen wenn möglich gestreamt werden sollen. Und erst hartnäckige Vorstösse der nichtständigen Mitglieder (kombiniert, wie erwähnt, mit Initiativen des Generalsekretärs und aus der Generalversammlung) ermöglichten es, dass der Sicherheitsrat endlich begann, Corona-Folgen zu thematisieren. Nach einigen vergeblichen Anläufen hatten am 2. April neun gewählte Sicherheitsratsmitglieder verlangt, dass der Virus und seine Auswirkung auf sicherheitsratsrelevante Angelegenheiten traktandiert werde. (Gleichentags verlangten dies übrigens auch 190 NGOs aus der ganzen Welt.) Es zirkulierte dann unter den E-10 ein eigener Resolutionsentwurf, der u.a. die Waffenstillstandsforderung in Corona-Zeiten enthält. Ein anderer Resolutionsentwurf zirkuliert unter den P-5. Es ist ungewöhnlich, dass die E-10 so aktiv werden (müssen) und eine Resolution unter sich vorbereiten, das tun sonst die P-5. Am 9. April tagte der Rat erstmals formal zu Corona, per Video.

Die Corona-Krise braucht nach der überall national orientierten Phase in den nächsten Monaten mehr global koordinierte Zusammenarbeit, gerade bezüglich Süd-Ländern, insbesondere auch in Konflikt- und fragilen Kontexten. An sich wären die Uno und auch der Sicherheitsrat zentrale Gremien, um diesbezüglich die Efforts gegen das Corona-Virus multilateral zu führen, u.a. durch die WHO, aber auch politisch, finanziell, wirtschaftlich und sozial durch die Generalversammlung und den Generalsekretär, sowie bezüglich Frieden und Sicherheit durch den Sicherheitsrat. Z.B in den Ebola-Krisen hat die Uno diese Rolle teilweise wahrgenommen. In der jetzigen Situation ist es daher wichtig, dass die Gewählten im Rat aktiv sind, um den Blockierungen des Rats durch einen Teil der P-5 wenigstens ein bisschen etwas entgegenzusetzen.

Aussen-, friedens- und menschenrechts- und klimapolitische Kreise der Zivilgesellschaft können das zu erwartende politische und mediale Aufmerksamkeitsfenster vor und während des geplanten Schweizer Rat-Einsitzes 2023/2024 nutzen. Das Interesse für die Uno und den Sicherheitsrat sollte vermehrt vertieft werden. Auch sollte die Arbeit der Schweiz im Sicherheitsrat  innenpolitisch unterstützt und kritisch begleitet werden. Das EDA hält bisher mit Informationsarbeit leider noch fast vollständig zurück. Schweden ging anders vor. Im Rahmen seiner Sicherheitsratsmitgliedschaft 2017/2018 unternahm es viel an öffentlicher Diplomatie. Die Schweiz kann sich hier ein Beispiel nehmen.

 

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