Die Verantwortung des Heimatstaates gegenüber Kindern von ausländischen IS-Kämpfern: Konsularischer Schutz als Ausweg aus den Internierungslagern?

Zurzeit befinden sich tausende ausländische Frauen und Kinder von ausländischen IS-Kämpfern in den Internierungslagern in Al-Hol. Viele diese Kinder wurden in das Regime der Organisation Islamischer Staat hineingeboren oder von ihren Eltern in den Dschihad mitgezogen. Schon seit über einem Jahr harren die Kinder unter den prekären Bedingungen in den Lagern aus. Besonders mit Blick auf das Kindeswohl dürfen die Heimatstaaten mit einer Repatriierung der Kinder nicht länger zuwarten. Aufbauend auf dem ersten Blog-Post dieser Serie stellt sich nun die Frage, wie den Schweizer Kindern in den Internierungslagern geholfen werden kann, um ihnen einen Weg zurück in ein kindgerechtes Leben zu bieten.

Das EDA kann Schweizerinnen und Schweizern im Ausland mit dem Instrument des konsularischen Schutzes Hilfe und Beistand leisten. Obwohl generell keine Pflicht zur Schutzgewährung durch den Heimatstaat besteht, kann sich im Einzelfall dennoch ein Anspruch ergeben. Dies insbesondere in Fällen, bei denen ein Unterlassen des konsularischen Schutzes zu einer Verletzung der Menschenrechte führen würde. Ist ein Staat im Einzelfall völkerrechtlich verpflichtet, Massnahmen zum Schutz der verletzten Rechte auch ausserhalb seines Staatsgebiets zu treffen, so kann sich ein Recht auf konsularischen Schutz ergeben.

Nach Art. 2 KRK ergibt sich die Pflicht der Staaten, jedem in ihrer Hoheitsgewalt unterstehendem Kind die Rechte aus der KRK zu gewährleisten. Die Handlungspflicht lässt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Art. 2 KRK herauslesen. Des Weiteren beschränkt die Konvention die Pflicht zur Schutzgewährung nicht auf das Staatsgebiet. Ebenfalls hat der Internationale Gerichtshof die KRK für extraterritorial anwendbar erklärt. Demnach ergibt sich im Fall der internierten Schweizer Kinder in Al-Hol eine Pflicht zur Gewährung des konsularischen Schutzes. Die Schweiz muss deshalb alles daransetzen, um diese Kinder aus Al-Hol zu repatriieren und deren Rehabilitation im Einklang mit Art. 39 KRK zu gewährleisten.

In seiner letzten Medienmitteilung zum Umgang mit terroristisch motivierten Reisenden liess der Bundesrat verlauten, dass er, sofern möglich, konsularischen Schutz leisten würde. Es scheint viele Argumente zu geben, die der Bundesrat vorbringen könnte um zu sagen, dass es ihm unmöglich ist, Unterstützung im Rahmen des konsularischen Schutzes zu leisten. Die Schweizer Botschaft in Damaskus ist geschlossen. Im Irak hat die Schweiz keine Vertretung. Zudem anerkennt die Schweiz die kurdisch autonome Region im Nordosten Syriens nicht als Staat, denn das Internierungslager in Al-Hol befindet sich in der Hand von nichtstaatlichen Gruppen. Die Schweiz vertritt die Auffassung, dass sie keine Regierungen anerkennt, sondern lediglich Staaten. Zurzeit nehmen Syrian Democratic Forces (SDF) die staatlichen Aufgaben wahr. Dies wäre mitunter der Grund, weshalb die Schweiz mit der kurdischen Selbstverwaltung nicht verhandeln und keinen konsularischen Schutz bieten könnte. Mit diesem Argument darf sich die Schweiz jedoch nicht einfach ihrer Verantwortung entziehen und die Kinder ihrem Schicksal überlassen. Ein Blick über die Landesgrenze zeigt, dass sich die Situation alles andere als aussichtslos erweist.

Die Bundesrepublik Deutschland hat letztes Jahr erstmals Kinder von Deutschen IS-Anhängern aus Syrien repatriiert. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes teilte mit, dass die Kinder von Mitarbeitenden des Generalkonsulats in Erbil in Empfang genommen wurden. Der Delegation des französischen Aussendepartements konnte die kurdische Verwaltung ebenfalls bereits die ersten Kinder übergeben. Auch in Belgien haben Diplomaten die ersten Kinder zurück in ihren Heimatstaat gebracht. Ganz freiwillig ist die Repatriierung der Kinder jedoch nicht erfolgt. In Deutschland wie auch in Belgien gingen jeweilige Gerichtsbeschlüsse voraus. Anfang dieses Jahres hat schliesslich der Europarat einer Resolution zugestimmt, welche die Rückführung von Kindern von ausländischen IS-Kämpfern fordert.

Ziel muss die Rehabilitation sein

Die internierten Kinder in Al-Hol müssen als Opfer angesehen werden. In ihren Fällen darf nicht leichtfertig geurteilt werden, dass sie dem Schicksal ihrer Eltern zu folgen haben und für deren Entscheidungen büssen müssen. In Al-Hol befinden sich die Kinder in einem politischen und rechtlichen Vakuum. Ohne Initiative der Heimatstaaten führt kein Weg aus den Internierungslagern heraus. Es liegt deshalb in der Verantwortung der Heimatstaaten, die dem Kindeswohl verpflichtet sind, diesen Kindern schnellstmöglich einen Weg zurück in die Normalität und in ein kindgerechtes Leben zu ermöglichen. Deshalb hat auch die Schweiz in Konformität mit der KRK alle Massnahmen zur Rehabilitation dieser Kinder zu ergreifen. Ein weiteres Zuwarten mit der Repatriierung lässt sich nicht länger rechtfertigen.

Dieser Blog-Beitrag ist der zweite in einer Reihe über die Verantwortung des Heimatstaates gegenüber Kindern von ausländischen IS-Kämpfern. Den ersten Blog-Beitrag der Serie können Sie hier lesen.

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