In diesem zweiten Teil unseres Beitrags werden wir uns ausgewählten juristischen Spannungsfeldern der Konzernverantwortungsinitiative zuwenden, und darstellen, welche Herausforderungen die Initiative aus juristischer Sicht bereithält.
Dazu soll einleitend kurz zur “Beweislastumkehr” und der angeblich drohenden “Klagewelle” Stellung genommen werden.
Die von der Initiative vorgesehene “Konzernhaftung” ist an das bestehende Konzept der obligationenrechtlichen Geschäftsherrenhaftung angelehnt. Insofern ist das Erfordernis, wonach ein Geschädigter den Beweis des Schadens, des widerrechtlichen Fehlverhaltens der “Konzerntochter”, der “tatsächlich ausgeübten Kontrolle” (dazu sogleich) sowie des Kausalzusammenhangs zu führen, und der “Konzern” allenfalls den Sorgfaltsnachweis – im Sinne eines Entlastungsbeweises – zu erbringen hat, im Prinzip nichts Neues. Wenn wie geläufig von “Beweislastumkehr” gesprochen wird, ist dies schon aus diesem Grund nicht präzis. Ohnehin dürfte das Argument, wonach im Falle der Annahme der Initiative mit einer grotesken Prozessflut zu rechnen sei, unbegründet sein. Bereits in konzeptioneller und rechtstatsächlicher Hinsicht gilt, dass erstens der Kläger das (finanzielle) Risiko des Prozessverlusts trägt, zweitens das schweizerische Recht keine Sammelklagen im herkömmlichen Sinn kennt und drittens hierzulande vergleichsweise geringe Entschädigungen und Genugtuungen gesprochen werden. Nach hier vertretener Ansicht ist die Initiative in rechtlicher Hinsicht v.a. aus nachfolgenden Gründen kritisch zu beurteilen, wobei zunächst die Verantwortung für “kontrollierte Unternehmen” näher beleuchtet werden soll.
Die Haftungsregelung bzw. die Verantwortung des “Konzerns” soll sich auf sämtliche “kontrollierte Unternehmen” erstrecken. Ob ein Unternehmen ein anderes kontrolliert, bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Neben der rechtlichen Kontrolle genügt nach dem Initiativtext bereits eine faktische Kontrolle “durch wirtschaftliche Machtausübung”. Eine solche wirtschaftliche Kontrolle bzw. Abhängigkeit ist denkbar, wenn die betroffenen Unternehmen etwa einen Alleinbezugs- oder Alleinvetriebsvertrag abschliessen (nach der Botschaft des Bundesrats wäre hierbei an Fälle zu denken, in denen ein Unternehmen praktisch ausschliesslich Ware für einen Dritten produziert oder ein Unternehmen seine Existenz praktisch ausschliesslich dem Vertrieb eines Drittprodukts verdankt). Ebenso ist vorstellbar, dass eine faktische Kontrolle auf Darlehens- oder Sicherungsverträgen gründet (die Botschaft erwähnt hierfür Fälle, in denen ein Unternehmen in wirtschaftliche Abhängigkeit gerät, weil es sich bei einem anderen Unternehmen in hohem Umfang verschuldet hat). Welche Konstellationen effektiv unter die “wirtschaftliche Machtausübung” fallen, ist mithin nicht gänzlich klar. Zum einen wäre es am Gesetzgeber, das Erfordernis der “faktischen Kontrolle” genauer zu fassen bzw. zu konkretisieren, zum anderen an der Rechtsprechung zu bestimmen, welche Fälle darunter zu subsumieren sind. Nach dem Initiativtext ist ferner durchaus möglich, dass ein “Konzern” auch für allfällige Menschenrechts- und Umweltbeeinträchtigungen verantwortlich gemacht werden könnte, welche auf Handlungen von “kontrollierten Unternehmen” ausserhalb ihrer gemeinsamen Geschäftsbeziehung zurückgehen. Wird von einer effektiven (faktischen) Kontrolle ausgegangen, müsste diese derart sein, dass der “Konzern” das “kontrollierte Unternehmen” im Einzelfall zur Einhaltung der fraglichen Menschenrechte und Umweltstandards veranlassen kann. Anders gesagt müsste er auf das Verhalten des “kontrollierten Unternehmens” tatsächlich Einfluss nehmen können. Inwieweit solches bei der legislativen Umsetzung der Initiative “berücksichtigt” würde und werden kann, muss dahingestellt bleiben. Bekanntlich ist der Gesetzgeber, rein politische Erwägungen beiseite gelassen (Stichwort: “pragmatische Umsetzung”), bei der Umsetzung einer Verfassungsbestimmung an deren Wortlaut und ratio gebunden. Freilich „gehört“ die Interpretation einer (angenommenen) Initiative nicht den Initianten.
Ein weiteres, gewichtiges Problemfeld stellt sodann die Sorgfaltsprüfung dar. Die Initiative sieht vor, dass sich die Sorgfaltspflichten des “Konzerns” nicht nur auf die (Handlungen der) “kontrollierten Unternehmen” selbst beziehen, sondern auf “sämtliche Geschäftsbeziehungen”, mithin die (gesamte) Lieferkette, erstrecken. Ein (global tätiges) Unternehmen vermag jedoch kaum sämtliche Verstösse von etwaigen – eventuell zahlreicher – Sublieferanten in der gesamten Lieferkette zu erkennen. Auch wenn nach dem Initiativtext das Unternehmen dann nicht haftet, wenn es eben beweist, dass es “alle gebotene Sorgfalt” angewendet hat, “um den Schaden zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre”, ist erneut Vorsicht geboten. Nach hier vertretener Ansicht darf einem Unternehmen keine Verantwortung aufgebürdet werden, die es unter den gegebenen Umständen in guten Treuen schlicht nicht wahrnehmen kann. Welche Anforderungen in der Praxis an die Sorgfaltsprüfung gestellt würden, muss hier offenbleiben. Auch in diesem Punkt dürfte der Gesetzgeber bei der Umsetzung “gefordert” sein.
Zusammenfassend hält die Konzernverantwortungsinitiative aus juristischer Sichtweise gewichtige Herausforderungen bereit. Eine abschliessende – inhaltliche – Beurteilung scheint kaum möglich, zumal der konkreten, gesetzgeberischen Umsetzung der Initiative entscheidende Bedeutung zukommt, wobei abzuwarten bliebe, wie diese denn ausfallen würde.
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