Inmitten des Wahlherbsts 2023 lancieren wir eine Serie von prägnanten Aussenpolitik-Briefings. In den 14 themenspezifischen Briefings reflektieren 23 Autor:innen die Vielfalt der aussenpolitischen Herausforderungen, die einerseits die Parlamentarier:innen die letzten vier Jahre beschäftigten und andererseits die politische Agenda in naher und mittlerer Zukunft bestimmen werden. Bis zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober publizieren wir die Aussenpolitik-Briefings auch als Blogserie.
Executive Summary
– Die EU und der Europarat diskutieren die Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI) – letzterer auch unter Mitwirkung der Schweiz.
– Der Schweiz fehlt zur Zeit eine nationale KI-Strategie. Der Bundesrat schielt auf die Resultate der EU und beschränkt Efforts zum KI-Monitoring auf die Bundesverwaltung.
– Der Schweizer Forschungsstandort leidet unter dem Ausschluss von Horizon Europe, dem weltweit grössten Programm zur Forschungsförderung.
– Die EU prägt die Schweizer Wissenschaftsdiplomatie, sowohl bei der Regulierung von neuen Technologien wie auch der Forschungsförderung.
Rückblick
Bis 2019 fokussierte der internationale Diskurs auf die Etablierung von KI-Leitlinien. Die Grösse und damit die Kapazitäten von KI-Modellen sind seither um das Tausendfache gestiegen. Der Fokus liegt jetzt auf Regulierung, und mehrere Techunternehmen haben Ethikteams, welche sie an selbstregulierende Prinzipien binden sollten, bereits wieder entlassen.
Die EU ist eine Vorreiterin in der KI-Regulierung und verhandelt seit 2021 über eine flächendeckende Regulierung von KI, die auch über EU-Grenzen hinaus für alle bindend sein soll, die in der EU geschäften wollen.
Mit hervorragenden Forschungsinstituten hat sich die Schweiz als Innovationsstandort etabliert und ist aktiv an der KI-Forschung beteiligt. Eine entsprechende Gesetzgebung zur Regulierung erachtet der Bundesrat bisher für unnötig (siehe Stellungnahme des Bundesrates zum Postulat 21.4406) und verweist auf bestehende Rechtsgrundlagen. Berichte des EDA und von einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, wie auch die Leitlinien für den Umgang mit KI in der Bundesverwaltung und die Einrichtung eines Kompetenznetzwerks für KI (CNAI), wurden nicht zur Formulierung einer einheitlichen, nationalen KI-Strategie genutzt.
2021 scheiterte das Rahmenabkommen mit der EU. Infolgedessen wurde die Schweiz aus dem weltweit grössten Förderprogramm für Forschung und Innovation Horizon Europe ausgeschlossen. Aus Politik und Kantonen kam unmittelbar die Forderung, alles zu unternehmen, damit die Schweiz rasch wieder an das Programm Horizon Europe assoziiert wird (siehe u.a. Standesinitiativen 21.320 und 21.327).
Die Schweiz stellt die für Horizon Europe vorgesehenen Fördergelder den Schweizer Hochschulen durch alternative schweizweite Programme zur Verfügung (siehe Stellungnahme des Bundesrates zur Motion 22.3876), jedoch fehlt es trotzdem am internationalen Netzwerk und Prestige der Horizon-Gelder. Als Alternative sucht die Schweiz vermehrt die Zusammenarbeit mit Staaten ausserhalb der EU.
Ausblick
Um den Konsequenzen künstlicher Intelligenz begegnen zu können, wird sich in der nächsten Legislatur die Frage nach nationalen Rechtsgrundlagen zur Regulierung von KI erneut stellen. Das Fehlen einer Schweizer KI-Strategie wirft folgende Fragen auf:
- Wie geht die Schweiz mit dem Fehlen einer klaren Verhandlungsgrundlage, Regulierungsansätze in internationalen Gremien proaktiv mitzugestalten, um?
- Monitoring und Leitlinien für KI sind bisher auf die Bundesverwaltung beschränkt (siehe Motion 22.3298). Wie kann die Schweiz das Potenzial von KI nach eigenen Interessen und Werten steuern?
International wird KI-Regulierung bereits aktiv diskutiert: Die EU will noch dieses Jahr ein umfassendes Gesetz zur Steuerung und Überwachung von KI-Produkten verabschieden, den sogenannten “AI-Act”. Dank des Marktortprinzips kann dieses auch Schweizer Unternehmen betreffen. Entsprechend dürfte sich in der kommenden Legislaturperiode die Frage stellen, ob die Schweiz mit dem europäischen Weg zufrieden ist – oder nicht doch einen eigenen Ansatz zur Regulierung von KI-Systemen sucht.
Gleichzeitig wird auch im Europarat eine bindende Konvention zur Entwicklung und Nutzung von KI-Systemen verhandelt – unter Mitwirken der Schweiz. Eine politische Diskussion zur aktuell wirtschaftsfreundlichen Verhandlungsposition wird in den nächsten Jahren geführt werden müssen.
KI ist bereits an vielen Schnittstellen zur öffentlichen Gesundheit, Energieversorgung, Mobilität und Kommunikation im Einsatz. Die aktuelle Geschwindigkeit der KI-Forschung führt dazu, dass innert kürzester Zeit neue Methoden und Produkte entstehen, die diese Industrien nachhaltig verändern können. Es wird sich die Frage stellen, wie sich entsprechende Entwicklungen beobachten lassen – insbesondere in Sektoren, die essenziell für die nationale Sicherheit sind. Das Monitoring von KI-Systemen und der damit verbundene Aufbau von Kompetenzen wird erneut ein wichtiges Thema sein.
Um den Forschungsstandort Schweiz zu stärken, wird eine Reassoziierung an Horizon Europe auch in der kommenden Legislaturperiode ein zentrales Thema bleiben. Verbesserte Beziehungen erleichtern die Schweizer Teilnahme an weiteren Programmen wie “Copernicus” (Erdbeobachtung) (siehe Motion 18.4131), “Erasmus” (studentischer Austausch) oder “Euratom” (Nuklearforschung). Ein Scheitern der Verhandlungen mit der EU kann zur Folge haben, dass während der Legislaturperiode 2024-2027 weiterhin Schweizer Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen. Langfristig führt dies zur Einbusse von Netzwerk, Prestige und Wissenschaftler:innen für den Forschungsstandort Schweiz, denn die EU bleibt die wichtigste Partnerin für die Schweizer Forschung.
Die EU nutzt den Ausschluss aus wissenschaftlichen Programmen als aussenpolitisches Werkzeug, so wurde Grossbritannien nach dem Brexit die Assoziierung entzogen und Israel wurde 2021 nur unter Ausschluss weiterer Siedlungen in der Westbank assoziiert.
Auch Forschungsförderung ausserhalb der EU wird ein großes Thema bleiben: mit China (2016), den USA (2021) und dem Vereinigten Königreich (2022) wurden bereits Memoranda of Understanding (MoU) unterzeichnet, um Forschungskooperationen zu fördern. Die Zusammenarbeit mit Grossmächten bringt aber auch neue Herausforderungen wie Einflussnahme und Abhängigkeiten.