Aussenpolitik-Briefing: Investitionskontrollen

Inmitten des Wahlherbsts 2023 lancieren wir eine Serie von prägnanten Aussenpolitik-Briefings. In den 14 themenspezifischen Briefings reflektieren 23 Autor:innen die Vielfalt der aussenpolitischen Herausforderungen, die einerseits die Parlamentarier:innen die letzten vier Jahre beschäftigten und andererseits die politische Agenda in naher und mittlerer Zukunft bestimmen werden. Bis zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober publizieren wir die Aussenpolitik-Briefings auch als Blogserie.

Financial place

Executive Summary

– Aufgrund zunehmender geopolitischer Spannungen gewinnt das Sicherheitsthema in der Wirtschaft an Bedeutung. Die USA und nahezu alle EU-Mitgliedstaaten haben Investitionskontrollen eingeführt und auch die Schweiz arbeitet aktuell an einer Vorlage.

– Einige Länder gehen jedoch bereits weiter. Die USA und die EU arbeiten derzeit an Entwürfen zur Kontrolle von Auslandsinvestitionen durch nationale Unternehmen, die in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sind. Es wird befürchtet, dass Kapitalströme mit erheblichem Technologie- und Wissenstransfer einhergehen.

– Diese Gesetze könnten extraterritoriale Reichweite haben und somit indirekt die Schweiz betreffen.

 

Rückblick

Die Schweiz zieht nicht nur grosse Mengen an ausländischen Direktinvestitionen an, sie gehört laut IWF auch zu den weltweit grössten Direktinvestoren im Ausland. Laut SNB betrugen Ende 2021 die Bestände an Schweizer Direktinvestitionen im Ausland 1’406 Mrd. CHF, verglichen mit 1’063 Mrd. CHF ausländischer Direktinvestitionen in die Schweiz. 

Obwohl der prozentuale Anteil an Direktinvestitionen, die in den asiatischen Markt fliessen, immer noch gering ist, stieg er zwischen 2020 und 2021 an. Laut der Schweizer China-Strategie belief sich der Kapitalstock der Schweizer Direktinvestitionen in China per Ende 2019 auf rund 22,5 Mrd. Franken (verglichen mit CHF 14,9 Mrd. chinesischer Investitionen in die Schweiz). 

Gemäss Aussenwirtschaftspolitischem Bericht des SECO soll die Aussenwirtschaft gleichzeitig weiter geöffnet, die wichtigsten Partner priorisiert (EU, USA, CN) und eine geografische Diversifikation vorgenommen werden. Der Sicherheitspolitische Bericht beschreibt den globalen Trend des Wettbewerbs zwischen den Grossmächten, die Tendenzen zur Regionalisierung und erkennt die sicherheitspolitischen Aspekte des technischen Fortschritts an. 

Im Zusammenhang mit Sicherheit und Investitionen wird in der Schweiz bis anhin von Bilateralen Investitionsschutzabkommen gesprochen, welche Schweizer Investitionen im Ausland vor politischen Risiken schützen. Ausserdem setzt das SECO Exportkontrollen und Embargos bei einigen Rüstungs- und Dual-use Gütern, sowie wirtschaftliche Sanktionen um. Zuletzt beauftragte das Parlament den Bundesrat mit der Annahme einer Motion (18.3021), die gesetzlichen Grundlagen für eine Prüfung von ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz zu schaffen.

 

Ausblick

Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Spannungen wächst das Interesse an einem gemeinsamen europäischen (oder transatlantischen) Verständnis der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Sicherheit

Eine geplante Massnahme ist das Überprüfen nationaler Investitionen im Ausland. Die genaue Ausgestaltung solcher Kontrollmechanismen ist sowohl in den USA als auch in der EU noch unbekannt.

In den USA hat eine überparteiliche Gruppe von US-Gesetzgeber:innen im Juni 2022 einen überarbeiteten Gesetzesentwurf veröffentlicht, den Revised National Critical Capabilities Defense Act. Im Juli 2023 stimmte der Senat dafür, dem National Defense Authorization Act (NDAA) eine Bestimmung hinzuzufügen, die US-Personen verpflichtet, der Regierung kritische Transaktionen zu melden. Bis im Herbst 2023 wird eine Durchführungsverordnung von Präsident Biden erwartet. 

Die Kontrolle oder zumindest die Meldepflicht von Auslandsinvestitionen betreffen voraussichtlich gewisse Sektoren (“covered activity”) mit kritischen Fähigkeiten nationaler Bedeutung (“national critical capabilities”) in bedenklichen Ländern (“country of concern”) und ausgewählte Firmen (“covered foreign entity”). Die Massnahmen können jedoch in erster Linie als Reaktion auf Chinas Politik gedeutet werden. 

Davon betroffen wären v.a. Technologieunternehmen mit militärischen, Dual-use und Hightech Produkten). Das Gesetz könnte aber auf andere Sektoren ausgeweitet werden, die für die nationale Sicherheit von Bedeutung sind: von Chips, Quantencomputer und AI, bis hin zur Stahl- und Mineralienherstellung, Biotechnologie, Robotik, Hyperschall und der satellitengestützten Kommunikation. 

Die Befürchtung ist, dass Kapitalströme aus den USA oder Europa mit einem erheblichen Technologie- und Wissenstransfer in sicherheitsrelevanten Bereichen einhergehen. Die Kontrollen könnten sich auf strategisch relevante Konzerne ebenso wie Start-ups in den genannten Sektoren beziehen, die Joint Ventures in “bedenklichen Ländern” planen oder auf Finanzunternehmen, die nahe am operativen Geschäft sind (Private Equity oder VC) gleichkäme. 

In einem extremeren (und unwahrscheinlichen) Fall könnte bereits die reine Finanzierung bestimmter Technologien im Ausland kontrolliert werden. Geldtransfers sind zwar keine Technologietransfers, aber Investitionen in ausländische Unternehmen unterstützen die Entwicklung neuer Technologien im Ausland und tragen zur Schaffung geopolitischer Abhängigkeiten bei, so die Argumentation. Dadurch könnte die Investition in eine Firma im Ausland (z.B. Alibaba Group in China) als sicherheitsbedenklich eingestuft werden, was einem Verbot des Kaufs von Aktien und Anleihen (Anlageberatung), sowie der Vergabe von Krediten (hauptsächlich Banken) gleichkäme.

In der EU arbeitet eine Gruppe von Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten bis Ende des Jahres (2023) eine Initiative aus, die dann diversen Interessengruppen zur Konsultation vorgelegt wird. Wahrscheinlich wird eine künftige EU-Verordnung eng an das Modell der Eingangskontrolle anlehnen, d. h. eine Liste empfohlener sensibler Bereiche und Produktions-/Lieferketten aufstellen, den Anwendungsbereich und die Umsetzung der Kontrollen aber dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen. Anders als in den USA ist in Brüssel ein länderspezifischer Ansatz derzeit keine Option. Sowohl in den USA als auch in der EU gibt es allerdings starken Gegenwind aus der Wirtschaft, welche argumentiert, dass Kapitalverkehrskontrollen die Kosten der Wirtschaftsbeziehungen und daher der Produkte erhöhen.

Diese Gesetzgebung könnten extraterritoriale Reichweite haben und somit die Schweiz betreffen, wie bspw. durch die Verwendung US-amerikanischer oder europäischer Technologien von Schweizer Firmen oder durch die Verhinderung Schweizer Geldflüsse in strategische Sektoren in “bedenkliche Länder”.

Sollten Kontrollen von Schweizer Investitionen im Ausland in der Schweiz eingeführt werden, besteht die Möglichkeit von Redundanzen mit bestehenden Instrumenten, insbesondere der Exportkontrolle. Diese lässt jedoch Raum für das Durchsickern sensibler Technologien durch Investitionen vor Ort oder Investitionen in Zukunftstechnologien, deren potenziell militärische Verwendung unklar ist.

Für die Schweiz ist es zentral, die eigenen Sicherheitsbedenken hinsichtlich wirtschaftlicher Verflechtungen aktiv zu prüfen, um ggf. an europäischen Regelungen mitzuwirken. Die aktuellen Entwicklungen können dazu führen, dass die Schweizer Wirtschaft zwischen die Fronten gerät, die sich derzeit aufbauen.