Nicola Forster: foraus ist politisch unabhängig – und ich trotzdem in einer Partei

Uncategorized

Es war eine grosse Überraschung, nicht zuletzt für uns selber: Die Findungskommission hatte Corina Gredig (Gründerin des Think Tanks GLP Lab) und mich zur Wahl als neues Co-Präsidium der Grünliberalen Kanton Zürich vorgeschlagen, und wir wurden am 20. November 2018 von der Mitgliederversammlung gewählt (Bericht in der NZZ). Ich freue mich sehr darüber, es stellt sich aber eine schwierige Frage: Geht dieses kantonale Miliz-Parteiamt zusammen mit meinem Engagement bei foraus? Rechtzeitig vor der Wahl haben wir dies im foraus-Vorstand besprochen, und sind zum Schluss gekommen, dass ein parteipolitisches Engagement klar vereinbar ist mit dem Engagement für foraus.

foraus als parteiunabhängiger Miliz-Think Tank

Eine kurze Rückblende: Unser Think Tank entstand im Jahr 2009, um die enorme Energie der von mehreren späteren foraus-MitgründerInnen geleiteten Jugendkampage zur Personenfreizügigkeitsabstimmung zu kanalisieren. Viele unserer damaligen MitstreiterInnen hatten sich vorher v.a. wissenschaftlich mit Europa-, Völkerrechts- und Migrationsthemen auseinandergesetzt und waren (partei-)politisch nicht engagiert. Wir gründeten deshalb foraus als Netzwerk von jungen, politisch denkenden Köpfen, die mit ihren Ideen und ihrem Wissen die Schweizer Aussenpolitik konstruktiv mitprägen wollten.

Nach der überraschenden Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014 kam dann gleich nochmals ein sehr politischer Moment: Einige forausler organisierten erste Treffen mit Unzufriedenen, die sich politisch engagieren wollten. Daraus entstand Operation Libero als von foraus unabhängige, überparteiliche Bewegung.

foraus wurde seither in den Medien schon als linker und als rechter Think Tank bezeichnet, was wohl für unsere Unabhängigkeit spricht. Es war uns stets wichtig, wissenschaftlich fundiert zu argumentieren und parteipolitisch unabhängig zu sein. Wichtigste Garantie für diese Unabhängigkeit ist unsere spezielle «Bottom up»-Funktionsweise: Die Themen und Argumente in unseren Diskussionspapieren werden nicht wie bei anderen Think Tanks von «oben» vorgegeben, sondern von unseren ehrenamtlichen AutorInnen selbständig erarbeitet. foraus macht keine politische Bewertung und allenfalls Zensur des Inhalts, sondern prüft die Qualität und Originalität der Vorschläge. Dieser strikte Reviewprozess schliesst eine politische Beeinflussung der Inhalte durch Präsidium und Vorstand aus. So zapfen wir das in der Zivilgesellschaft vorhandene Wissen an und sorgen dafür, dass wir guten Ideen aus dem gesamten politischen Spektrum zum Durchbruch verhelfen können. Je nach Publikation und Policy-Vorschlägen unserer AutorInnen arbeiten wir anschliessend mit unterschiedlichen Parteien zusammen – besonders prominente Beispiele dafür waren der Konkordanzartikel, den wir gemeinsam mit National- und StänderätInnen von Parteien von links bis rechts in die Debatte einbrachten (Tagesschaubeitrag), oder die kürzliche Veröffentlichung des Diskussionspapiers zur Selbstbestimmungsinitiative mit bekannten Nationalrätinnen aus FDP, CVP, BDP, GLP, SP und Grünen.

foraus im Vergleich mit anderen Think Tanks

Als Vorstand achten wir darauf, dass verschiedene politische Haltungen in unseren Gremien vertreten sind. Parteimitglieder von FDP, CVP, SP, GLP und Grünen hatten seit den Gründungsjahren wichtige Funktionen in Vorstand und Geschäftsleitung inne – neben einer Mehrheit von engagierten Leuten ohne Parteibuch (herzliche Gratulation übrigens an unseren langjährigen Vizepräsidenten Johan Rochel, der soeben mit “Appel Citoyen” den Walliser Verfassungsrat erobert hat!). Wir glauben, dass die politisch vielfältige Gesinnung unserer Mitglieder eine wichtige Ressource ist zur konstruktiven Lösungsfindung für aussenpolitische Herausforderungen. Diese Haltung ist übrigens nicht aussergewöhnlich, wenn wir foraus mit anderen renommierten Think Tanks im In- und Ausland vergleichen: Der Stiftungsrat der deutschen «Stiftung Wissenschaft und Politik» oder auch der Council von Chatham House beinhalten VertreterInnen verschiedener Parteien. Auch andere Schweizer Think Tanks wie Avenir Suisse, Swisspeace oder Denknetz haben Stiftungsräte, Vorstandsmitglieder und Direktoren, die seit vielen Jahren parteipolitisch engagiert und teilweise ehemalige Angestellte von Parteien sind oder Parteikommissionen leiten. Dies ist ein essentieller Teil der Schweizer Milizkultur.

Milizsystem: Wir brauchen alle Talente!

In einem Land, das PolitikerInnen für ihre Arbeit vergleichsweise schlecht bezahlt und stark auf Ehrenamtlichkeit setzt, ist die Vereinbarkeit von Beruf und politischem Engagement zwingend notwendig. Wenn wir unser Milizsystem konsequent durchdenken, muss es machbar sein, je nach Kontext unterschiedliche Rollen einzunehmen: Felix Gutzwiller konnte gleichzeitig ein wissenschaftlich unabhängiger Professor für Sozial- und Präventivmedizin und FDP-Ständerat für den Kanton Zürich sein. Michael Hermann nimmt als Tagesanzeiger-Kolumnist zwar politisch pointiert Stellung, ist aber bei der Kommentierung des von ihm erstellten SRG-Wahlbarometers glaubwürdig und neutral.

Natürlich ist es für foraus und mich persönlich zentral, allfällige Interessenkonflikte zu vermeiden: Wir werden peinlich genau auf die Unabhängigkeit unseres Think Tanks achten und weiterhin sowohl bei inhaltlichen Fragen wie auch bei Veranstaltungen keine Partei bevorzugen. Persönlich werde ich die beiden Rollen strikt trennen: Bei der GLP engagiere ich mich in der internen Parteiorganisation und zu kantonalen Themen, bei foraus im aussenpolitischen Bereich.

Als foraus-Präsident ist es – wie schon bisher – nicht mein Ziel, alleine im Scheinwerferlicht zu stehen: Unsere AutorInnen sowie unsere Geschäftsleitung mit Lukas Hupfer, Darja Schildknecht und Maria Isabelle Wieser stehen inhaltlich und operativ an vorderster Front. Der Vorstand unter Leitung des vierköpfigen Präsidium mit Regula Hess, Alexandre Biedermann, Florian Egli und mir teilt sich die Vertretung der Organisation gegen aussen und ist für die Netzwerke in die Universitäten, Wirtschaft, NGO-Szene, Diplomatie und Politik zuständig.

Meinen Beruf als professioneller Moderator und Referent zu Themen wie der digitalen Demokratie werde ich nicht aufgeben wegen meines parteipolitischen Engagements auf kantonaler Ebene. Es würde die Milizkultur zerstören, wenn nur noch Leute in die Politik gehen würden, die einzig auf die Politikkarte setzen. Falls diese Vereinbarkeit nicht möglich ist, werden in Zukunft alle Talente abgeschreckt, die sich im politnahen Umfeld bewegen, was sehr schade wäre.

Wenn ich etwas aus nun schon beinahe zehn Jahren Aufbauarbeit bei foraus gelernt habe, dann dies: Die Schweiz von morgen braucht die Ideen und das Engagement der besten Köpfe – und zwar in staatlichen Institutionen, Wirtschaft, NGOs, Think Tanks und auch in der Politik!

Image: Christian Burger