Von Antoine Schnegg – Am Montag den 21. Februar 2011 hat das EDA verkündet, dass es die Vorbereitungsarbeiten zur Einsetzung des Libysch-Schweizerischen Schiedsgerichts vorübergehend einstellen will. Die Unruhen in Libyen könnten ein solches Vorgehen rechtfertigen, dennoch steht diese Suspendierung in einem Spannungsverhältnis mit dem Ruf der Schweiz als verlässliche Vertragspartnerin.
Am 20. August 2009 unterschrieben Repräsentanten der Schweiz und Libyen einen Vertrag über die Einsetzung eines Schiedsgerichts zur Aufklärung der Vorfälle anlässlich der Verhaftung von Hannibal Gaddafi am 15. Juli 2008. Unter Vermittlung Europäischer Staaten und nach der Heimkehr von Max Göldi am 14. Juni 2010 wurde die Schaffung eines Schiedsgerichts nochmals bekräftigt.
Aufgrund der momentanen Unruhen in Libyen hat das EDA verkündet, dass die Vorbereitungsarbeiten zur Einsetzung dieses Gerichts auf Eis gelegt werden, da die Gewalteskalation in Libyen dies nicht erlaube. Ist dieser Schritt legitim und sogar wünschenswert? Zeigt sich die Schweiz dadurch solidarisch mit den Demonstranten, oder schadet sie ihrem Ansehen als verlässliche Verhandlungspartnerin?
Grundlagen zur Sistierung des Vertrags
Zunächst müssen wir feststellen, dass die Schweiz mit Libyen einen schriftlichen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat. Es gilt damit der Grundsatz pacta sunt servanda (ein Prinzip des Vertragsrecht, welches besagt, dass ein geschlossener Vertrag auch erfüllt werden muss). Sämtliche weitere Bestimmungen der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) sind ebenfalls anwendbar, da sowohl Libyen als auch die Schweiz diese ratifiziert haben.
Auf welche rechtliche Grundlagen kann sich die Schweiz stützen, um den Vertag zu sistieren? Die WVK sieht drei Fälle vor, in denen ein Vertrag unilateral suspendiert werden kann: Im Falle einer Vertragsverletzung seitens des Vertragspartners (Art. 60), im Falle einer nachträglich eintretenden Unmöglichkeit der Vertragserfüllung (Art. 61) oder im Falle einer grundlegenden Änderung der Umstände (Art. 62).
Es lässt sich damit festhalten:
1. Es lässt sich feststellen, dass seitens Libyens momentan keine Vertragsverletzung erfolgt ist, das Schiedsgericht ist nominiert und kann seine Arbeit beginnen.
2. Eine nachträgliche Unmöglichkeit lässt sich auch nicht feststellen, da kein zwingender Bestandteil des Vertrags untergegangen ist.
3. Ob sich die Umstände seit Vertragsabschluss derart gravierend verändert haben, dass sie eine Erfüllung des Vertrags verunmöglichen oder für unzumutbar erscheinen lassen ist unklar. Die herrschende Lehre ist sich in diesem Punkt nicht einig und gewisse Autoren behaupten zu recht, dass in einzelnen Fällen eine Aufrechterhaltung eines Vertrags an politischen Anachronismus grenzt.
Nichterfüllung als Vergeltungsmassnahme
Die WVK liefert kein befriedigendes Ergebnis, um eine einseitige Vertragssistierung zu begründen. Kann eine zeitweilige Sistierung des Vertrags als Vergeltungsmassnahme gegen Libyen angesehen werden? Die traditionelle Doktrin schreibt vor, dass Staaten nur dann Vergeltungsmassnahmen gegen einen anderen Staat ergreifen können, wenn sie durch diesen geschädigt wurden. Dies ist nicht der Fall, die vertraglichen Pflichten gegenüber der Schweiz wurden von Libyen nach Abschluss des Vertrags vom August 2009 nicht verletzt.
Ob Vergeltungsmassnahmen angebracht sind, um Libyen zur Erfüllung von erga omnes Normen (Normen deren Erfüllung der gesamten Staatengemeinschaft geschuldet ist) zu verpflichten, ist umstritten. Wenn in Libyen grundlegende Menschenrechte (z.B. das Recht auf Leben der Demonstranten) verletzt werden, könnte ein solches Vorgehen gerechtfertigt sein. Allerdings liegt hierzu noch keine einheitliche Staatenpraxis vor.
Wie soll sich die Schweiz verhalten?
Der ehemalige Britische Botschafter in Tripolis Oliver Miles hat wohl Recht, wenn er behauptet, dass das „Libyen-Problem“ für die Schweiz erledigt sei. Sowohl wenn sich Gaddafi an die Macht halten kann, als auch wenn eine neue Regierung in Tripolis entsteht, werden ganz andere Probleme an der Tagesordnung sein.
Das EDA hat vorsichtig gehandelt und den Vertrag zunächst nur sistiert. Damit hat die Schweiz einerseits dargestellt, dass sie die Menschenrechtssituation in Libyen zur Kenntnis nimmt und ihr Verhältnis zu Libyen dementsprechend anpasst. Die Sistierung des Vertrags kann als Bestandteil eines Massnahmenpakets angesehen werden, welches auch die Sperrung von libyschen Vermögenswerten in der Schweiz beinhaltet. Andererseits hat die Schweiz demonstriert, dass sie sich grundsätzlich an internationale Abkommen hält und Schiedsgerichtsbarkeit als Methode zur friedlichen Streitbeilegung anerkennt. Genau diese Verlässlichkeit könnte in Zukunft für die Schweiz relevant sein, wenn sie ein relevanter Akteur in der Region bleiben will. Denn es sollte nicht vergessen werden, dass die Schweiz wirtschaftliche Interessen in Libyen hat und diese auch erhalten will.
Antoine Schnegg, 26, lebt in den Niederlanden. Er ist Jurist und spezialisiert sich momentan im Fachbereich Völkerrecht mit besonderem Schwerpunkt auf Völkerstrafrecht. Antoine Schnegg ist ein Gründungsmitglied von foraus und hat bis zu seinem Wegzug aus der Schweiz die Arbeitsgruppe Internationale Organisationen geleitet.
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