Von Stefan Schlegel – Staaten mit grossem Wohlstand unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von armen Staaten: Sie schützen das Eigentum. Der Schutz des Eigentums ist eng verbunden mit dem Schutz der Freiheit des Einzelnen, denn das Eigentum ist – so die Rechtfertigung der Eigentumsgarantie – das Resultat produktiver Tätigkeit im Rahmen der freien persönlichen Entfaltung.
Wenn das Eigentum (das durch Arbeit angehäuft wird) vor dem Eingriff des Staates geschützt sein muss, ist es dann nicht naheliegend, dass auch die Quelle des Eigentums, die Arbeitskraft, vor dem Eingriff des Staates geschützt werden muss?
Das ist die Idee, die ich hier vertreten will:
Beschränkungen der Arbeitsmigration verhindern den Erwerb von potentiellem Eigentum. Die Schweiz muss sich deshalb dafür einsetzen, dass solche Beschränkungen wie Enteignungen entschädigt werden.
Heute ist nur das Eigentum geschützt, nicht sein Erwerb durch Arbeit. Wir betreiben im Gegenteil einen enormen Aufwand, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu verhindern. Für die Betroffenen bedeutet dies einen enormen Verlust. Die Zufügung dieses Verlustes müsste wie jede Schädigung grundsätzlich unzulässig sein und finanziell ausgeglichen werden.
Wenn diese Idee zunächst lächerlich erscheint, so hängt das daran, dass wir uns gewöhnt haben, Migration als Problem zu verstehen und Migranten/innen als Verursacher dieser Probleme.
Doch wer richtet den grösseren Schaden an, die Migranten/innen, die durch ihre Zuwanderung gewisse Kosten und Risiken generieren, oder der Staat, der verhindert, dass die Arbeitskraft dorthin getragen wird, wo sie den grössten Wert hat? Wer von beiden stört? Wer von beiden ist Verursacher?
Die Antwort ist klar: Die beste Entwicklungshilfe der Welt hat im Vergleich zum Mehrwert, den Arbeitsmigration mit sich bringt einen verschwindend kleinen Effekt. Und selbst die komplette Liberalisierung der Güter- und Kapitalflüsse würde nur ein bis zwei Promille von dem Wachstum generieren, das die Liberalisierung der Arbeitsmigration mit sich brächte. Der Schaden, den Migrationsbeschränkungen anrichten ist unvorstellbar gross und der Staat als Verursacher müsste ihn entschädigen. Warum hat der Staat selber ein Interesse, das zu tun?
Folgende Überlegung zeigt warum: Nehmen wir an, Eigentum sei nicht mehr geschützt. Das Getreide auf dem Feld kann von jedem geerntet werden, der grad Lust dazu hat. Der Effekt wäre, dass der Bauer nicht mehr in sein Feld investieren wird. Das Potential des Landes würde verschwendet, obwohl es vorhanden ist. Wir würden wieder Jäger und Sammler.
Dasselbe passiert, wenn man Arbeitskraft verschwenden darf, ohne den Schaden übernehmen zu müssen. Potentielle Arbeitskraft wird verschwendet, in dem sie nicht zugelassen wird an dem Ort, an dem eine Nachfrage nach ihr besteht. Sie liegt brach, obwohl sie vorhanden wäre.
Es ist nie wünschbar, dass jemand einen Schaden anrichten darf, den er nicht ausgleichen muss. Das setzt immer Anreize zur Verschwendung von Werten, die einem nicht gehören. Im Falle der blockierten Arbeitsmigration ist es eine Verschwendung, deren Ausmass alle Vorstellungen sprengt.
Und die Verschwendung trifft nicht nur die Ausgesperrten. So wie wir alle daran leiden, dass das Land der Bauern veröden würde, so leiden wir auch an dem Arbeitspotential, das brach liegt. Denn auch, wenn jeder in erster Linie an seiner eigenen Glückseligkeit arbeitet, so befördert er damit immer auch ein wenig das Glück der anderen. Es liegt drum im Interesse aller, dass Arbeitskraft dorthin getragen werden darf, wo sie einen guten Preis erzielt. Doch erst wenn wir bezahlen müssen, was wir anrichten, steigt unsere Bereitschaft, diese Effizienz auch zu zulassen.
Stefan Schlegel wohnt in Bern. Er ist Jurist und Gründungsmitglied von foraus – Forum Aussenpolitik. Er leitet die Arbeitsgruppe Migration und ist Mitglied der Redaktion des foraus-Blog.
Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.