Immigration: Eine Gefahr wird grün

Migration

Von Simon Stückelberger – In diesem Jahr wurden gleich drei Initiativen lanciert, die die Immigration beschränken wollen. Diese warnen nicht nur vor den sozialen und ökonomischen Gefahren der Immigration, sondern auch vor den ökologischen Gefahren. Damit wird ein klassisch linkes Anliegen – der Naturschutz – mit einem klassisch rechten Patentrezept- der Begrenzung der Immigration – vermischt.

Immigration wird seit Jahrzehnten von vielen Menschen und Politikern in der Schweiz als Gefahr wahrgenommen. Die Gründe und die Art der Furcht, sowie auch die Gesellschaftsgruppen, die sich bedroht fühlten, waren in dieser Zeit jedoch nicht immer die gleichen. Obwohl man manchmal das Gefühl hat, dass in der Schweizer Migrationsdebatte immer die gleichen Schreckensszenarien diskutiert werden, so zeigt gerade dieses Jahr, dass das Gefahrenbild der Immigration durch gesellschaftliche Entwicklungen geprägt wird und neue Färbungen annehmen kann.

Gefahrenbild Immigration

Die Angst vor der Immigration basiert auf einem multidimensionalen Gefahrenbild, in welchem Probleme aus unterschiedlichsten Themengebieten miteinander zu einer diffusen Einheit verschmelzen. Teure Wohnungen, tiefe Löhne, Arbeitslosigkeit, (Jugend-)Kriminalität, Sozialmissbrauch sind einige wichtige Puzzleteile in diesem Gefahrenbild. Unter anderem aufgrund der Vielfältigkeit der Themen findet das Gefahrenbild der Immigration grosse Verbreitung – für jeden ist etwas Beängstigendes dabei. Dabei lässt es sich leicht an neue Entwicklungen anpassen – je nach Situation rücken andere Aspekte in den Vordergrund. Ein Puzzleteil, das neuerdings, neben teuren Wohnungen und Infrastrukturüberlastung, mehr Gewicht erhält ist der Naturschutz – Schlagwort Zersiedelung.

Naturschutz und Migration

Die Verbindung von Naturschutz und Immigration ist nicht neu. Schon bei der Schwarzenbach-Initiative 1970 wurde die Zubetonierung der Schweiz angeprangert und die Schweizer Demokraten (SD, früher Nationale Aktion) warnen seither vor den Auswirkungen der Migration auf die Natur (sowie vor den Auswirkungen der Immigration auf jedes andere erdenkliche Problem). Die SD spielt jedoch seit Jahren nur noch eine marginale Rolle in der Schweizer Politik. Die SVP wiederum, die die Immigration zu ihrer Leitthematik gemacht und damit die SD an den Rand gedrängt hat, hat das ökologische Puzzleteil vernachlässigt und mehr auf Kriminalität und Sozialmissbrauch gesetzt.

Grüne Gefahr

Im Jahr 2011 ist das Thema der ökologischen Gefahr, die von der Immigration ausgeht jedoch zurück: Die SD hat wieder einmal eine Initiative zur Stabilisierung der Bevölkerung lanciert und betont dabei ihre ökologische Ausrichtung. Eine zweite Initiative zur Einwanderungsbegrenzung wurde von ECOPOP (Ecologie et Population) lanciert: Eine Umweltorganisation, die politisch schwer einzuordnen ist. Die Organisation wurde zur Zeit der Schwarzenbachinitiative gegründet, jedoch lehnte sie in den 70er und 80er Jahre die Initiativen der Nationalen Aktion (NA) ab. In den Anfängen waren sowohl Valentin Oehen, damaliger Präsident der NA, als auch Anne-Marie Rey, SP-Grossrätin und Frauenrechtlerin, bei ECOPOP aktiv. Heute finden sich sowohl Mitglieder der SP als auch der SVP im Vorstand. Wer diese Organisation einfach in die rechte Ecke stellt, verkennt ihren vielschichtigen Hintergrund und damit das politische Potential eines ökologischen Gefahrenbilds der Immigration.

Die SVP hat im Juni die dritte Initiative „gegen die Masseneinwanderung“ in diesem Jahr lanciert. Medial konzentriert sie sich mehr auf den Aspekt der Kriminalität („Kosovaren schlitzen Schweizer auf“), doch auch die SVP hat spätestens nach Fukushima bemerkt, dass die Umwelt nicht nur Linke und Nette interessiert: Nachdem sie lange geschwiegen hatte, schlug sie mit ihrem Beitrag zur Atomdebatte in die gleiche Kerbe wie SD und ECOPOP: „Ohne Zuwanderung könnten wir uns heute Mühleberg sparen“ sagte der SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Auch im Argumentarium für ihre Initiative „gegen Masseneinwanderung“ wird der Einfluss der Immigration auf die Umwelt und den Stromverbrauch hervorgehoben – Verknüpfungen, die im letzten Migrationspapier (2009) und auch im Parteiprogramm 2011-2015 (Jan. 2011) noch fehlten.

Grün und liberal?

Während den letzten 40 Jahren fristeten grüne Immigrationsgegner, zusammen mit SD und ECOPOP, ein marginales Dasein. Im Jahre 2011 sind sie zurück auf dem politischen Parkett und dies liegt interessanterweise nicht nur an Fukushima: Die SD und ECOPOP Initiativen wurden vor Fukushima lanciert. Sie sind Ausdruck einer grüneren Schweiz, von der auch der Aufstieg der Grünliberalen zeugt. Die drei lancierten Initiativen zeigen, dass in Migrationsfragen eine grünere Schweiz keineswegs eine liberalere Schweiz bedeuten muss. Eher das Gegenteil ist zu erwarten, denn ein grünes Gefahrenbild der Immigration hat Potential.

Migrationspolitik als Patentrezept gegen die Umweltbelastung – lange Zeit belächelt, ist diese Idee heute auf bestem Weg zu „common sense“ zu werden.

Simon Stückelberger, ist Mitglied der Arbeitsgruppe Migration von foraus und hat in diesem Sommer den Bachelor in Internationale Beziehungen an der Universität Genf abgeschlossen. In seiner Bachelorarbeit befasste er sich mit dem Gefahrenbild des Islams im Zusammenhang mit der Anti-Minarettabstimmung.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.