Von Antoine Schnegg – Die Sicherheitskommission des Nationalrats beantragt, dass der Nationalrat nicht auf die Ratifizierung des Abkommens von Oslo eingeht. Das Abkommen sieht ein absolutes Verbot von konventioneller Streumunition vor, welche humanitär sehr umstritten ist. Der Ständerat hat hingegen einstimmig dessen Ratifikation beschlossen. Das Geschäft wird mit Empfehlung zur Ablehnung im Nationalrat behandelt. Damit das Abkommen von Oslo doch noch ratifiziert werden kann, ist eine Zustimmung im Nationalrat notwendig.
Die Sicherheitskommission des Nationalrates beantragt mit einer knappen Mehrheit, nicht auf die Ratifizierung des Abkommens von Oslo einzugehen, welches ein Verbot von Streumunition vorsieht. Diese Mehrheit der Kommission sieht in Streumunition ein legitimes und wirkungsvolles Verteidigungsmittel, um den Verfassungsauftrag der Armee zu garantieren. Ganz nebenbei eignet sich dieser Antrag gemäss Kommissionsmitglied Roland Borer um Frau Calmy-Rey vor ihrem Rücktritt eine Ohrfeige zu verpassen.
Die einzige Ohrfeige die hier ausgeteilt wird, richtet sich an verstümmelte Kriegsopfer, zum Beispiel in Bosnien und Angola, wo dieses grausame Kriegsmittel massiv eingesetzt wurde. Diese Tatsache zu übersehen um dem politischen Gegner anzugreifen ist eines Parlamentariers unwürdig und zeugt von schwerer Sittenverrohung.
Krieg gegen die Bevölkerung
Die Genfer Abkommen sehen kein generelles Verbot von Streumunition vor, jedoch liegt einer der Kerngedanken des vierten Genfer Abkommens darin, dass am Konflikt Unbeteiligte möglichst zu schonen und human zu behandeln sind. Das humanitäre Völkerrecht ächtet daher den Gebrauch von Waffen, welche nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden. Neben Streumunition können hier Flächenbombardements, Nuklearwaffen und chemische Kampfmittel dazu gezählt werden.
Zwischen 5% und 30% der abgeworfenen Cluster (den kleineren Teilen eines Streumunition-Wurfgeschosses) bleiben undetoniert liegen und stellen für die betroffenen Zivilbevölkerungen ein ernstes Sicherheitsrisiko dar. Kommissionsmitglied Ulrich Schlüer sieht Streumunition als legitimes Verteidigungsmittel für die neutrale Schweiz, da ein potentieller Angreifer diese auch einsetzen könnte. Ob wir als neutrales Land im Rahmen eines Präventivschlages gegen unsere Gegner Streumunition einsetzen oder unser eigenes Land damit verminen und sozusagen eine Verteidigungstaktik der „verbrannten Erde“ verfolgen, wird aus den Äusserungen von Herrn Schlüer nicht klar. In beiden Fällen nimmt wohl Herr Schlüer, Gefreiter der Schweizer Armee, die Begehung von Kriegsverbrechen in Kauf, da unsere Streumunition ansonsten nicht einsetzbar ist.
Militärisch nutzlos
Der Bundesrat hat in seiner Botschaft vom Juni 2011 festgehalten, dass Streumunition in heutiger Form in der Schweiz nicht einsetzbar ist und deren Vernichtung kein Präjudiz über die Existenzberichtigung der Schweizerischen Artillerie ist. Ferner präzisiert der Bundesrat, dass der Verteidigungsauftrag an die Armee durchaus durch Know-How Erhaltung erfüllt werden kann. Das Streumunitionsverbot von Oslo sieht ferner vor, dass sog. „intelligente Submunitionsträger“ (Selbstvernichtende Munition oder Munition mit begrenzter Wirkungsdauer) nicht erfasst sind und deren Einsatz und Aufbewahrung nach wie vor möglich ist.
Das VBS hat für die Armee XXI sogenannte Kanistermunition im Wert von ungefähr 670 Millionen Franken beschafft. Die Vernichtung dieser Munition erweist sich als schwierig. Der Bundesrat hat in oben genannter Botschaft jedoch verlauten lassen, dass die Vernichtung durchaus machbar ist und ein Betrag von etwa 35 Millionen Franken in Anspruch nehmen würde.
Wir stehen also vor einem Haufen Munition, welcher nicht einsetzbar ist, dessen Anschaffung Unmengen Geld gekostet hat und dessen Aufbewahrung im Widerspruch zur humanitären Tradition der Schweiz steht.
Tiefe Qualität des Nationalrates
Militärisch ist Streumunition in der Schweiz nicht einsetzbar. Der Bundesrat hat festgehalten, dass durch die vorangeschrittene Urbanisierung des Landes ein Streumunitionseinsatz nicht möglich ist. Wie sich Herr Schlüer eine Bombardierung der Leventina-Ebene vom Gotthard aus vorstellt, ist nicht nachvollziehbar. Die Gegner der Ratifizierung des Abkommens von Oslo befürworten jedoch einen solchen Einsatz als Verteidigungsmittel und befürworten somit auch eine Kriegsführung, welche jenseits jeglicher völkerrechtlicher Prinzipien und Vorschriften stattfindet. Dass Nationalräte die Gefährdung der Schweizerischen Zivilbevölkerung so leichtfertig in Kauf nehmen, ist beschämend.
Ein Verbot von Streumunition kategorisch auszusschliessen ist nicht nur grausam sondern auch sinnlos, da es militärische Alternativen gibt, welche im Bedarfsfall geprüft werden müssen. Wieder einmal zeigt sich, dass der Ständerat hier seiner Bezeichnung als „chambre de réflexion“ gerecht wird, indem er dem Streumunitionsverbot ohne Gegenstimme zustimmte.
Dass das humanitäre Völkerrecht durch gewisse Nationalräte mit den Füssen getreten wird, unter Umständen um einer unbeliebten Politikerin eins auszuwischen oder um absurde Militärphantasien zu realisieren, ist niveaulos. Es bleibt zu hoffen, dass der Nationalrat der Meinung der Kommission nicht folgt und sich an dem in dieser Frage vernünftigen Ständerat orientiert.
Antoine Schnegg, lic. iur. LL.M., ist Jurist und Doktorand im Bereich Menschenrechte.
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