Von Andrea Jud – Trotz anhaltender Gewalt überwachen UN-Blauhelm-Soldaten in Syrien die unterzeichnete Waffenruhe. Doch mit dem Massaker von Houla steht die Beobachtermission erneut vor dem Scheitern.
Seit mehr als einem Jahr eskaliert in Syrien nach der Unterdrückung von Regierungsgegnern die Gewalt. Die Anzahl der dokumentierten Todesopfer hat inzwischen die Zehntausend überstiegen. Im April 2012 stimmte Syrien schliesslich einem Waffenstillstand zu. Er ist Teil eines Sechs-Punkte-Plans des Sondergesandten der UNO und der Arabischen Liga, Kofi Annan. Resolution 2043 des UN-Sicherheitsrates legt fest, dass für die Überwachung des Waffenstillstandes bis zu 300 unbewaffnete Blauhelm-Soldaten in Syrien stationiert werden. Auch die Schweiz schickt sechs erfahrene Beobachter nach Syrien.
Internationale Blockade
Die internationale Gemeinschaft konnte sich lange nicht auf eine gemeinsame Haltung zum Konflikt in Syrien einigen. Die Vetos Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat verhinderten Massnahmen gegen die syrische Regierung. Die Beobachtermission ist ein Kompromiss, an dem trotz geringer Erfolgsaussichten für die Waffenruhe festgehalten wird. Damit werden verschiedene implizite Ziele verfolgt: Während einige Länder durch die Beobachter den Sturz des syrischen Regimes beschleunigen wollen, versuchen andere, durch die Mission härtere Massnahmen gegen Präsident Assad zu vermeiden.
Der Annan-Plan ist ausserdem ein Versuch, die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu bewahren. Für Annan selbst ist der Plan die „letzte Chance zur Vermeidung eines Bürgerkriegs“.
Eine unmögliche Mission
Die Machthaber in Syrien benutzen die Mission für ihr Doppelspiel: Trotz der Unterzeichung der Waffenruhe wird die Gewalt gegen Oppositionelle fortgeführt. Annans Friedensplan wurde in keinem Punkt implementiert, die Zwischenberichte der Mission sind ernüchternd.
Neben der problematischen Sicherheitslage erschweren Desinformationskampagnen und das Vorspielen von Normalität durch das Regime die Arbeit der Mission. Zivilisten, die versuchten, mit den UN-Beobachtern zu kommunizierten und ihre Sicht der Ereignisse darzustellen, wurden gezielt bestraft.
Die Hoffnung des Annan-Plans
Befürworter des Annan-Plans hofften, dass die Präsenz der Beobachter und die Dokumentation von Gewalttaten die Aktionen des syrischen Militärs gegen Zivilisten zumindest drosseln würde. Berichte zeigen jedoch, dass die Gewalt gegen Regierungsgegner seit Beginn der Beobachtermission von Armee- vermehrt auf Geheimdienstoperationen umgelagert wurde. Damit fällt die Gewalt in den Bereich Menschenrechtsverletzungen und liegt ausserhalb des Mandats der UN-Mission.
Das Ende der Diplomatie
Der Angriff auf den Ort Houla bei Homs durch Panzerartillerie vergangene Woche zerstört auch die letzten Hoffnungen, dass die Präsenz der UN-Beobachter massive Gewaltanwendung durch das Militär verhindern kann. Houla könnte einen Wendepunkt darstellen. Die grosse Opferzahl desillusioniert syrische Aktivisten und Oppositionelle, die auf eine Schutzwirkung durch die Beobachter hofften. Die bewaffnete Opposition droht, die Waffenruhe auch von ihrer Seite her aufzukündigen.
Die Schweiz forderte eine Untersuchung durch den internationalen Strafgerichtshof, hält jedoch an der Unterstützung des Annan-Plans fest. Doch in der internationalen öffentlichen Meinung häufen sich die Aufrufe, das Scheitern der UN-Mission offen anzuerkennen. Was kommt danach?
Andrea Jud, M.A., ist Politikwissenschaftlerin und Islamwissenschaftlerin und hat sechs Monate in Syrien gelebt. Sie ist Mitglied in der AG Menschenrechte, AG Entwicklung und Zusammenarbeit und AG Migration.
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