Von Martin Uhl – Im Rausch der monatlich erscheinenden Asylgesuchszahlen wird unsere Asylpolitik laufend verschärft. Es wird Zeit, dass wir in der Gleichung „hart aber fair“ die Balance wieder herstellen.
Allmonatlich erhält die Schweizer Asyldebatte ihre Dosis Kokain: Es ist der Tag, an dem das Bundesamt für Migration seine Medienmitteilung zu den Asylzahlen des vergangenen Monats veröffentlicht. “Zahl der Asylgesuche bleibt hoch”, hiess es kürzlich – im Juli 2012 seien zehn Prozent mehr Asylgesuchsteller als im Vormonat registriert worden. Die Alarmglocken läuten darauf landauf und landab, selbstdeklarierten Asyl- und Migrationsexperten in den Parteien profilieren sich vor der Kamera mit lautstarken Forderungen und Tagesschau und Zeitungen nehmen die allgemeine Notstandstimmung begierig auf.
Der Ansturm auf unser Land reisst nicht ab, heisst es allerseits, ergo muss die Schweiz durch ein strengeres Asylwesen weniger attraktiv gemacht werden für Asylsuchende aus aller Welt. Die Parlamentarier verfallen in Postulats-Aktivismus und die Justizministerin verkündet eiligst Sofortmassnahmen und prophezeit Besserung durch eine bereits eingeleitete Asylgesetzreform. Es ist klar: die Kicks der Asylzahlen steuern unsere gesamte Asylpolitik.
In der allgemeinen Hysterie um die Asylzahlen geht vergessen, dass Migrationsbewegungen je nach Jahreszeit zu- und abnehmen und ohnehin stark von Faktoren abhängen, welche die Schweiz nur beschränkt beeinflussen kann. Der arabische Frühling kann nicht mit einer Asylgesetzverschärfung rückgängig gemacht werden und auch der Konflikt in Syrien hängt herzlich wenig von den Motionen der SVP-Fraktion ab. Das ganze Medien- und Polittheater gibt den Asylzahlen eine Bedeutung, die sie nicht haben. Eine sinnvolle Asylpolitik richtet sich nach Grundsätzen und nicht nach dem zyklischen Auf und Ab der Asylgesuche.
Hart aber fair?
Doch welche dieser Grundsätze sind in unserer Asylpolitk auszumachen? Hart aber fair wollen wir sein mit den Asylsuchenden – so lautet der Konsens, welcher sich von Links bis Rechts durchgesetzt zu haben scheint. Echte Verfolgte sollen in der Schweiz Schutz finden (unser Land zeichnet sich schliesslich durch eine weitgerühmte humanitäre Tradition aus), Wirtschaftsmigranten und missbräuchliche Gesuchsteller allerdings sollen möglichst rasch abgewiesen und in ihre Herkunftsländer zurückgeschafft werden.
Hart sind wir tatsächlich im Asylbereich: Die Verfahrensrechte der Asylsuchenden sollen zugunsten von künftig kürzeren Verfahren eingeschränkt und Wehrdienstverweigerer nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden. Bürgerliche Kreise fordern gar die Abgabe von Nothilfe anstatt der Sozialhilfe an Asylsuchende. Die restriktive Seite der Asylpolitk wird – angefeuert durch den Alarmismus rund um die Asylzahlen – laufend gestärkt.
Nehmen wir wieder Flüchtlingsgruppen auf
Es wird Zeit, dass die Schweiz in der Asylpolitik die Balance wiedererlangt. Soll die vielgepriesene humanitäre Tradition unseres Landes mehr sein als nur eine leere, zumeist von uns selbst bemühte, Floskel, braucht es konkrete Massnahmen – insbesondere von der Justizministerin. So muss die Schweiz endlich wieder jährlich fixe Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen, für welche der Transfer in ein sicheres Land die einzige Lösung ist, um ein Leben in Sicherheit und Würde führen zu können. Damit hilft sie jenen, die in den aussichtslosesten Situationen sind und den Schutz am dringendsten benötigen.
Die regelmässige Aufnahme von solchen Flüchtlingsgruppen würde zudem auch aussenpolitisch ein starkes Zeichen setzen: Nämlich dass wir es Ernst meinen mit unserer Fairness und unserem humanitären Engagement – und dass wir unsere Asylpolitik jenseits des Auf und Abs der Asylzahlen tatsächlich von Grundsätzen leiten lassen.
Martin Uhl lebt in Bern und hat ein Lizenziat in Internationale Beziehungen und ein Master in Europastudien abgeschlossen. Er ist Mitglied der Foraus-Arbeitsgruppe Migration.
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