Von Alexander Spring – Das foraus-Themenseminar soll sich dieses Jahr mit dem Fokus „Die Schweiz: Kleinstaat in einer multipolaren Welt“ auseinandersetzen. Dabei soll auch die Frage des Schweizer Selbstverständnisses als Kleinstaat aufgegriffen werden. Doch ist die Schweiz wirklich so klein?
Die Schweiz wird oft als Kleinstaat aufgefasst, welcher sich höchstens durch Nischenpolitik international behaupten kann und nur durch seinen Sonderstatus bezüglich Neutralität und Nicht-EU-Betritt überhaupt wahrgenommen wird. Doch ist die Schweiz wirklich ein Kleinstaat am Rande der internationalen Gesellschaft? Ein Blick auf wirkliche Klein-Staaten hilft die Sichtweise zu relativieren.
Die Schweiz – Der Riese unter den Zwergstaaten
Bezüglich der Staatsfläche gibt es 62 kleinere Staaten als die Schweiz mit ihren 41‘277 km². Als nächst grösserer Staat folgt schon das Königreich der Niederlande. Noch besser sieht es bei der Berücksichtigung der Gesamtbevölkerung aus. Geschätzte hundert Staaten, also gut die Hälfte, haben weniger Einwohner als die Schweiz mit ihren bald acht Millionen Einwohnern. Wenn die Migration anhält und noch eine weitere Wirtschaftskrise zu einem Mini-Babyboom führt, überholen wir mittelfristig das ehemals grosse Österreich mit ca. 8.5 Millionen Einwohnern.
Doch wer sind die wirklichen Mikrostaaten? Wer boxt bei der internationalen Politik in der wahren Federgewichtsklasse? Wie man bei der olympischen Eröffnungsfeier wieder mal beobachten konnte, kommen die Mini-Staaten geografisch vor allem aus der Karibik mit schönen Doppelnamen wie St. Vincent und die Grenadinen oder dem Südpazifik mit so exotischen Namen wie Kiribati. Doch auch Europa kennt ein paar historisch gewachsene Sonderfälle von Kleinstaaten – unter anderem San Marino, Monaco und Liechtenstein. Allen voran sticht der Sonderstaat Vatikanstadt heraus, der unter der Autorität des Heiligen Stuhls steht. Er ist nur 0.44 km² gross und hat etwa 1000 Einwohner. Trotz des nicht mehr ganz so sportlichen Papstes, hat aber auch der Vatikan politisch eine gewisse Schlagkraft.
Der Nanostaat Fürstentum Sealand
Neben dem Vatikan gibt es aber noch ein wesentlich absurderes Beispiel: Das Fürstentum Sealand, eine ehemalige militärische Seefestung im Ärmelkanal, kämpft schon seit 1967 um seine völkerrechtliche Anerkennung. Zwar ist das Fürstentum mittlerweile ein beliebtes Beispiel in Völkerrechtsbüchern und hat auch schon deutsche, britische und US-amerikanische Gerichte beschäftigt; für eine Anerkennung als souveränen Staat hat es jedoch trotz eigener Verfassung, Regierung und Briefmarken nicht gereicht. Das Hauptargument liegt auf der Hand: Ein künstliches Stahlgestell im Meer gilt nicht als eigentliches Staatsgebiet, welches laut der Montevideo-Konvention Voraussetzung für einen völkerrechtlichen Staat ist. Unterstützt wird diese Ansicht auch von Art. 60 der UN-Seerechtskonvention. Der Titel „kleinster Staat der Welt“ gilt also nur inoffiziell. Da hilft auch die neue staatliche Internetseite nicht weiter, auf welcher die Staatsbürgerschaft inklusive Adelstitel im Gegensatz zu früher nicht mehr gegen Geld erworben werden kann.
Die Schweiz als gefestigte Grösse
Das Beispiel Fürstentum Sealand zeigt eines auf: Die Schweiz ist im Gegensatz zu diesem Extrembeispiel eine gefestigte internationale Grösse. Die Eidgenossenschaft verfügt sowohl über ein wachsendes Staatsvolk, eine funktionierende Staatsgewalt, als auch über ein klar umgrenztes Staatsgebiet. Ob sich die Schweiz als Kleinstaat gibt und damit gleichzeitig international als solcher wahrgenommen wird, ist einzig und alleine eine Frage der Perspektive. Eine Perspektive, die auch das kommende foraus-Themenseminar aufzeigen soll.
Alexander Spring ist Assistent und Doktorand am Institut für öffentliches Recht der Universität Bern. Er leitet die foraus-Arbeitsgruppe Völkerrecht und Menschenrechte.
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