Von Simon Schädler und Alexander Spring – Im Sommer 2010 legte der Ständerat Bruno Frick ein brisantes Postulat vor. In einem dringenden Appell zum Schutze der kränkelnden Schweizer Rüstungsindustrie forderte er „gleich lange Spiesse für die Schweizer Sicherheits- und Wehrtechnikindustrie“. Die Antwort des Bundesrats macht deutlich, dass nur liberalere Bewilligungskriterien für weniger Sand im Getriebe der Schweizer Rüstungsindustrie sorgen würden. Wieso kam es trotzdem nicht zu einer Lockerung der Kriegsmaterialverordnung, die einer Öffnung der Pandorabüchse gleichgekommen wäre?
Das Postulat von CVP-Ständerat Bruno Frick mag in der heutigen Zeit befremdlich klingen: Im Juni 2010 sah sich der Schwyzer dazu veranlasst, zur Stärkung der angeschlagenen Schweizer Kriegsmaterialindustrie auf die allzu strengen absoluten Ausschlusskriterien von Art. 5 Abs. 2 der Kriegsmaterialverordnung hinzuweisen. Die harschen gesetzlichen Bewilligungskriterien seien ein „signifikanter Wettbewerbsnachteil“ für die Schweiz. Frick forderte mögliche Massnahmen zur Linderung dieser Benachteiligung der Ruag und Konsorten – „Zuckerbrot für die Rüstungsindustrie“ titelte der Zürcher Tagesanzeiger.
Schweizer Waffen als Exportgut: Gesetzgebung zu restriktiv?
Der kürzlich erschienene bundesrätliche Bericht gab Frick ansatzweise Recht: Tatsächlich kennt die Schweiz restriktivere Vorgaben für den Export von Waffen als Frankreich, Italien und Deutschland. Interessant ist der Vergleich mit Schweden und Österreich aus der Warte der Neutralitätspolitik. Das Kriegsmaterialrecht beider Staaten entspricht weitgehend der helvetischen Gesetzeslage.
Einzig beim Bewilligungskriterium des Menschenrechtsschutzes leistet sich das Schweizer Recht eine höhere Messlatte: Der Export von eidgenössischem Kriegsmaterial ist gemäss Art. 5 Abs. 2 lit. b der Kriegsmaterialverordnung absolut verboten, wenn im Staat eines Geschäftspartners systematische und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen geschehen. Waffenexporte sind demnach unzulässig in Länder, in denen extralegale Hinrichtungen, systematische (sexuelle) Gewalt an Frauen und Kindern oder Folter an der Tagesordnung sind.
Zur Ankurbelung der schweizerischen Rüstungsindustrie sowie der Vermeidung wirtschaftlicher Benachteiligungen wäre nach dem Bundesrat der Verzicht auf ebendieses Kriterium der „systematischen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen“ nutzbringend. Dass mit dem Aufweichen der Exportkriterien die Büchse der Pandora geöffnet würde, liegt jedoch auf der Hand. Dies erkannte auch der Bundesrat und sah wegen der fehlenden „politischen Opportunität“ von einer Lockerung ab. Oder scharfzüngig formuliert: Die Bilder von Schweizer Munition und Wurfgeschossen in Libyen (Schweizer Munition aus Katar) und Syrien (Schweizer Handgranaten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten) sind noch zu präsent, um bereits ernsthafte Zugeständnisse an die Rüstungsindustrie zu tätigen.
Lockerung vorerst vom Tisch – mit Hintertürchen
Mit seinem Entscheid, auf eine Lockerung der Kriegsmaterialverordnung zu verzichten, hat der Bundesrat die sprichwörtliche Pandorabüchse nochmals sicher und ungeöffnet verstaut. Fraglos ist ein zwangloser gestaltetes Kriegsmaterialrecht gegenwärtig kein politisch und rechtlich gangbarer Weg. Auch wenn die Tilgung des Menschenrechtskriteriums in Art. 5 Abs. 2 lit. b der Kriegsmaterialverordnung Waffenexporte nach Pakistan, Saudi-Arabien und Ägypten wieder ermöglicht hätte – den Preis bezahlte die Zivilbevölkerung vor Ort. Zudem weist die Entwicklung der internationalen Wirtschafts- und Rüstungspolitik in die entgegengesetzte Richtung: Während die Vereinten Nationen mit Hochdruck an einem Vertrag zur Regelung des globalen Kriegsmaterialhandels (Arms Trade Treaty) arbeiten, wäre die Schweiz plötzlich als Geisterfahrerin unterwegs.
Ein Hintertürchen hat der Bundesrat in seinem Bericht trotzdem vorgesehen. Er zeigt sich bereit, die Problematik der „gleich langen Spiesse“ neu zu beurteilen bei negativen wirtschaftlichen Entwicklungen oder wenn die eigene Landesverteidigung ohne den Handel mit Schweizer Rüstungsgut nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Leider hat es der Bundesrat in seinem Bericht verpasst, auf die mögliche internationale Vorreiterrolle der Schweiz hinzuweisen. Das Rezept müsste eigentlich geläufig sein: „Gleich lange Spiesse“ stellt man am besten durch die Hebung der internationalen Schranken her und nicht durch deren Herabsetzung im Inland.
Simon Schädler dissertiert am Zürcher Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht und arbeitet derzeit als Gastwissenschaftler am Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam und der Humboldt Universität Berlin. Er ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppe Völkerrecht.
Alexander Spring ist Assistent und Doktorand an der Universität Bern im Bereich Völkerrecht und Menschenrechte. Er leitet zudem die foraus-Arbeitsgruppen Völkerrecht und Menschenrechte.
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