Theorie und Praxis: Politische Gewalt in Griechenland

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Die Regierung Samaras warnt mit ihrer „Theorie der zwei Extreme“ vor den erstarkenden Oppositionsparteien und versucht sich als einzige politische Option zu positionieren. Doch die politischen Differenzen haben sich schon längst auf die Strasse ausgeweitet.

 

Nachdem im September ein linker Musiker und Aktivist von einem Anhänger der rechtsradikalen Chryssi Avgi-Partei erstochen wurde, beschloss die Regierung gegen die Partei vorzugehen. Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Organisation. Seitdem sitzen neben dem Parteichef noch zwei weitere hochrangige Mitglieder in Untersuchungshaft, der Prozessbeginn wurde noch nicht angekündigt. Der Mord ist der tragische Höhepunkt einer langen Reihe von Gewalttaten, die sich hauptsächlich gegen Migranten, Linke und Gewerkschafter richteten und auch international Aufsehen erregten.

Die Reaktion von linker Seite liess nicht lange auf sich warten: Einen Monat später wurden vor einem Lokalbüro der Partei zwei Chryssi Avgi-Mitglieder erschossen, ein weiterer lebensgefährlich verletzt. Die Verantwortung des Vergeltungsschlags übernahm eine neu in Erscheinung getretene Organisation namens „Kämpfende Revolutionäre Volkskräfte“, die weitere Aktionen gegenüber Rechtsradikalen und ihren Unterstützern androhte.

Politische Gewalt dieser Art ist in Griechenland kein neues Phänomen. Doch nach der der Zerschlagung derOrganisation 17. November vor zehn Jahren gab es nur noch vereinzelte Aktionen kleineren Ausmasses. Es hatte sogar den Anschein, der latente links-rechts-Antagonismus werde endlich nicht mehr mittels Gewalt ausgetragen. Die Ereignisse der letzten Monate haben Befürchtungen angefacht, dass sich dies wieder ändern könnte.

Theoretische und reale Extreme

Die parteipolitische Landschaft hat sich seit Beginn der Krise stark gewandelt: Im Parlament sitzen mittlerweile Parteien, die bis vor ein paar Jahren noch gar nicht existierten, wie die rechtspopulistische Anel und die linke Dimar, oder nie den Sprung ins Parlament schafften, wie die Chryssi Avgi. Der einzige eindeutige Programmpunkt dieser Parteien besteht häufig aus der Opposition gegenüber der Regierung und der Troika mit ihrer umstrittenen Krisenstrategie.

Syriza ist seit dem jähen Absturz der frühen dominanten Pasok zum Sammelbecken der linken Kräfte geworden und zum stärksten Konkurrenten der Regierung avanciert. Ihre Opposition zum Sparkurs der Regierung geniesst zwar viel Rückhalt in der Bevölkerung. Die Partei hat aber noch keine haltbaren Alternativen zur Bewältigung der Krise präsentieren können und verheddert sich allmählich in einem linkspopulistischen Kurs. Selbst unter Wählern von Syriza bestehen deshalb Zweifel, ob die Partei überhaupt bereit und fähig ist das Land zu regieren. Leider war Syriza aufgrund interner Streitigkeiten bisher nicht in der Lage, ein kohärentes politisches Profil zu entwickeln und gilt für Teile der Bevölkerung deshalb als unwählbar. Ihre oft berechtigte Systemkritik gerät zuweilen unter die Räder ihrer Polemik und ihrer gnadenlosen Oppositionshaltung.

Die rechtsradikale Chryssi Avgi andererseits macht sich gar nicht erst die Mühe ein gesamtheitliches Programm auf die Beine zu stellen. Mit ihrer Anti-Establishment-Attitüde und ihrem brachialen Auftreten gegenüber der als korrupt empfundenen Politikerkaste spricht sie auch Wähler an, die mit ihrer rechtsextremen Rhetorik sonst nicht viel anzufangen wissen. Die Regierung ist bis zum Mord am Musiker auch deshalb eher umsichtig mit der Partei umgegangen, weil sie viele ehemalige Wähler wieder zurück ins konservative Lager zu holen hoffte. Dieser Plan scheint allerdings nicht aufzugehen, wie die neuesten Umfragewerte aufzeigen. Sollte die Partei zulegen können, würde sich das zu einem echten Problem entwickeln, denn eine auch nur andeutungsweise ernstzunehmende Politik ist von ihnen nicht zu erwarten.

Nun versucht die konservative Regierung von Antonis Samaras sich als einzige vernünftige politische Option zu präsentieren. Ihre Theorie zielt hauptsächlich auf Syriza und Chryssi Avgi, die momentan gemäss Meinungsumfragen zweit- beziehungsweise drittgrösste Kraft im Land sind. Einzig die konservative Nea Dimokratia könne ein Verbleiben Griechenlands in der Eurozone und in der EU garantieren, während die Oppositionsparteien das Land zwangsläufig ins wirtschaftliche Chaos und in einer gewaltsamen politischen Auseinandersetzung stürzen würden.

Politischer Abgrund vs. schwache Erholungsaussichten

Und so schlittert Griechenland weiter entlang des politischen Abgrunds, mit einer Regierung die über eine knappe Parlamentsmehrheit verfügt, äusserst unbeliebte Sparmassnahmen gegen politischen und gesellschaftlichen Widerstand durchboxt und sich gleichzeitig als Retter in der Not zu präsentieren versucht. Es ist ihr zu verdanken, dass sie mithilfe der EU einen wirtschaftlichen Totalabsturz abwenden konnte, die positiven Entwicklungen fallen bisher allerdings eher dürftig aus.

Mit Durchhalteparolen versucht die Regierung die Bevölkerung bei Stange zu halten und warnt vor gravierenden Konsequenzen bei einer Abkehr vom eingeschlagenen Kurs, der nächstes Jahr zum ersten Mal nach sechs Jahren Rezession wieder ein positives Wirtschaftswachstum erzeugen soll. Die Geduld vieler Bürger ist allerdings arg strapaziert. Der aggressive Ton auf rechter wie linker Seite hat zugenommen und selbst die jüngsten Morde haben keine Milderung im politischen Diskurs erzielt. Sollte sich die wirtschaftliche Situation nicht bald bessern, wird man sich in Griechenland nicht mehr mit theoretischen, sondern mit zusätzlichen, durchaus realen Problemen abgeben müssen.