Die Ecopop-Initiative reduziert die Umweltbelastung auf eine einfache Formel: Je weniger Menschen auf einem Staatsgebiet leben, desto besser geht es der Umwelt. Doch die Rechnung ist falsch. Die wirklich ausschlaggebende Variable fehlt.
Blogreihe zur Ecopop-Initiative
Dieser Beitrag ist Teil einer Blogreihe zur bevorstehenden Volksabstimmung über die Ecopop-Initiative. Diese Blogreihe analysiert im Hinblick auf den 30. November das Argumentarium der Initianten und reflektiert über potentielle Folgen einer Annahme der Initiative.
Die Angst vor Bevölkerungswachstum ist keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Schon Platon fürchtete um die Versorgung der Bürger mit ausreichend Nahrung und sah im Wachstum den Grund zunehmender Unterschiede zwischen Arm und Reich. Er ersann daraufhin ein gesellschaftliches System mit einer stationärer Bevölkerung und einer genetischer Selektion. Städte sollen genau aus 5040 Familien bestehen, wobei Behörden die Fortpflanzung exakt planen und kontrollieren. Auch Aristoteles dachte ähnlich negativ über Bevölkerungswachstum. Dieses führe zur Verarmung eines Teiles der Bevölkerung, was soziale Unruhen hervorrufe. Daher müsse die Kinderzahl gesetzlich beschränkt und überzählige Schwangerschaften abgebrochen werden. Hunderte von Jahren später meint Thomas Malthus, dass die Nahrungsproduktion bei Weitem nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten könne, was längerfristig zum Verderb der Menschheit führe.
Der vergessene Faktor Innovation
Allen drei Denkern ist gemeinsam, dass ihre verschiedenen mit Bevölkerungswachstum verknüpften Befürchtungen nicht eintrafen. Die Zusammenhänge und Mechanismen zwischen Bevölkerungswachstum und Umweltbelastung sind zu komplex, um sie mit einfachen Theorien abzubilden.
Neu soll nun durch eine Volksinitiative mit dem Titel „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“ der Art. 73a in die Schweizerische Bundesverfassung aufgenommen werden. Schon nur der Titel postuliert, dass eine einfache Beziehung zwischen der Bevölkerungsgrösse und dem Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen existiere. Diese Annahme ist so simplifiziert, wie sie falsch ist. Sie behauptet eine kausale Einwirkung der Immigration auf die Umweltbelastung. Wird die Ecopop-Formel mit dem Faktor Innovation ergänzt, verändert sich der von den Initianten postuliere Zusammenhang zwischen Immigration und Umweltqualität bedeutend: Immigration erhöht das Innovationspotential einer Gesellschaft. Innovation steigert eine effiziente Ressourcennutzung (siehe Grafik).
Um den Faktor Innovation korrigierte Ecopop-Formel (Quelle: Autoren)
Sinkende Umweltbelastung durch Innovation
Nicht die Menge der in einem Land lebenden Personen alleine, sondern die Modalitäten ihres Konsums bestimmen den Grad der Umwelteinwirkung.
Die Ecopop-Initianten konzentrieren sich ausschliesslich auf die Bevölkerungsgrösse und lassen dabei die Frage nach der Umweltverträglichkeit unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems ausser Acht. Die Initiative brandmarkt den Mensch per se, aufgrund seiner Existenz, als Umweltzerstörer. Technische Entwicklungen können die ökologische Bilanz verbessern, wenn Ideen zur effizienten Ressourcennutzung in Produkten, Prozessen und Dienstleistungen umgesetzt werden und diese anschliessend einen Absatzmarkt finden.
Keine Innovation ohne Migration
Innovation entsteht durch kluge Köpfe und Talente, welche die Möglichkeit besitzen in einem innovationsfreundlichen Umfeld ihr kreatives Potential zu nutzen und dieses der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Eine starke Innovationsfähigkeit stützt sich somit auf die folgenden zwei notwendigen Bedingungen: Institutioneller Rahmen und talentierte Menschen. Innovationsfördernde Institutionen nützen nichts, solange die Talente fehlen. Talente nützen nichts, solange diese sich aufgrund fehlender institutioneller Grundlagen nicht entfalten können. Das Mittel, die beiden Elemente zusammenzuführen, besteht in der grenzüberschreitenden Migration. Menschen sind anpassungsfähig und gewillt, ihre Lebensumstände aus eigener Kraft zu verbessern. Dazu suchen sie sich jenes Umfeld aus, in welchem sie ihr Potential am besten ausschöpfen können. Ferner begünstigt Migration ein innovationsfreundliches Umfeld. Diversität in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz führt zu einem idealen Umfeld für kreative Ideen.
Das Hauptgebäude der ETH Zürich: ohne internationalen Austausch kaum überlebensfähig (Quelle: Wikimedia Commons)
Die Schweiz ist nicht von ungefähr Innovationsweltmeisterin. Sie verfügt über hervorragende Institutionen für Forschung und Entwicklung und einen hohen Grad an Internationalität. An den beiden ETHs, den Leuchttürmen der Wissenschaft, beträgt der Ausländeranteil am wissenschaftlichen Personal zwischen 60 und 80 Prozent. Internationaler Austausch ist der Sauerstoff für Innovation durch wissenschaftliche Spitzenleistung und die Grundlage einer dynamischen Gesellschaft.
Will die Schweiz ihr Innovationspotential bewahren, auf das eine ökologische Gesellschaft angewiesen ist, darf sie sich nicht als ökologische Alpeninsel verstehen und sich in eine migrationspolitische Festung verwandeln, sondern muss den positiven Beitrag grenzüberschreitender Austauschbeziehungen auf dem Weg zu einer ökologischeren Gesellschaft anerkennen.