„Häng dich doch auf": Der Nationalismus als des Landes Wolf

Europe

Wer Heimatgefühle am 1. August für fehl am Platz hält, irrt. Wer jedoch Kritik am Nationalismus für anti-schweizerisch oder verwerflich hält, irrt noch viel mehr. Ein Beitrag zur Debatte.

 

Hui, was für ein Krach. Als die Juso ankündigte, man solle am 1. August keine Schweizer Fahnen aufhängen, war der Teufel los. Keine Fahnen? Geht’s noch! Landesverräter! Des „guten“ Schweizers Volksseele kochte. Zumindest in den Kommentarspalten und auf den Sozialen Medien.

Zugegeben: Der Aufruf von Fabian Molina und seinen Jungsozialisten zum „Antinationalistischen Friedensmarsch“ war weder besonders klug noch historisch filigran. Es ist, was es ist: Die Provokation einer Jungpartei, die weiss wie man provozieren muss. Umso mehr geben die Reaktionen darauf zu denken: „Das Einzige was er am 1. August aufhängen sollte, ist sich selbst!“, sagt ein User auf seinem Facebook-Profil; „dann schlage ich vor, die JUSO feiert den 1. August irgendwo im Kosovo“, schreibt ein anderer. Weitere Beispiele gefällig? Ich verschone euch nicht:

„Verpiss Di us der Schwiz ! Z einziga Land woma no druf stolz si chan.“- „Du Zwerg bisch en Esel!!!“- „Was isch den das für en Mongo?“- „Du vollbehinderets arschloch!!!!“- Dich sött mer usschaffe!!!! Derf mer nid mal mé patriot si? Schwule hund“- „übrigäns nordkorea brucht no lüt wie eu.“- „vowo chunsch ursprünglich schowider? Am beste gasch wieder det ane“- „Volksverräter! Nieder mit den Linken!“- „Fi** dini EU-Fahne u mach dr Schwiiz am 01.08. z schönschtä Geburigschänk – verpiss di us üsem Land…!!“- „Du truurige Schofseckel!“- „verlogne sauhund was machsch du ide schwitz?“- „A-Sozials pack!!!“

Die hässliche Fratze des Nationalismus? Hier zeigt sie sich.

Heimatgefühle sind nicht schlecht. Sie sind da. Und Patriotismus ist nicht unnatürlich, sondern real. Dürfen wir auf unser Land stolz sein? Klar! Es gibt genug Gründe dafür (ebenso wie es genügend Gründe gibt, die Schweiz zu kritisieren) Feuerwerke abzulassen, Fahnen zu hissen, Stolz zu empfinden – keinem soll dies verwehrt sein. Es soll hier darum auch nicht um die Frage nach der historischen Bedeutung des 1. Augusts gehen (widerlegt wurde diese schon lange durch Historiker wie Roger Sablonier, Jakob Tanner und Co.) oder um Mythen und Folklore.  Es geht vielmehr um den Umgang damit. Es geht um den Nationalismus als Selbstzweck.

Mit der Schaffung der Nationalstaaten wurde etwas kreiert, was fortan die Legitimationsgrundlage des Machtgebildes bildete: die Abgrenzung gegen Aussen. Der Staat, die Nation – sie sind ein Konstrukt. Das ist nicht schlecht oder illegitim, sondern genauso real wie jede andere im Laufe der Zeit manifestierte soziale Zugehörigkeit. Oft wirkte dieser Patriotismus zusammenschweissend, hielt Gesellschaften zusammen. Doch dieser Patriotismus wurde auch zum Selbstläufer – und damit zum Nationalismus: Nicht mehr die Errungenschaften des Staates und seiner Bürger bilden die Grundlage dieser Emotion. Sondern alleine die Tatsache, zu diesem Gebilde zu gehören. Damit schafft man einen Zirkelschluss. Und damit schafft man unweigerlich statische Grenzen.

Die weltgrösste Schweizerflagge 2009 an der Nordwand des Säntis. (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c5/20090801-23_Säntis.JPG)

Die „echten“ Schweizer

Schon lange sind Menschen stolz auf ihre Kulturen, auf ihr Schaffen und Wirken – sie wirken inkludierend. Menschen brauchen Gruppenzugehörigkeiten. Doch diese sind erstens nicht nur auf nationaler Ebene anzutreffen und zweitens wandelbar. Wieso zum Beispiel nicht Europa als neuen verbindenden Apparat begreifen? Wieso die Globalisierung als Bedrohung der eigenen Identität auffassen? Ich bin Zürcher und Urner, und das trotz 1848… Doch gerade in Europa ist er zu beobachten, der aufflammende Nationalismus. Und so zu beobachten auch in der Schweiz: Stolz sein, Schweizer zu sein, weil wir Schweizer sind – lautet die Logik. Damit schaffen die Nationalisten eine scheinbare Selbstdefinition des Landes, welche Bürger desselben ausschliesst: „Echte“ Schweizer sind nur diejenigen, welche „echte“ Patrioten sind. An den unterirdischen Reaktionen auf Molinas Vorschlag zeigt sich dies besonders gut: Stört ein Bürger diese Definition, gehört er „ausgeschafft“, soll er „verreisen“, ist er ein „Landesverräter“.  Dasselbe musste sich schon die Bergier-Kommission anhören, als sie es wagte, die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu hinterfragen. Dass gerade die freie Meinungsäusserung, der kritische Umgang mit der eigenen Vergangenheit, die Toleranz gegenüber Andersdenkenden zu den Grundpfeilern dieses Landes, dieser Gesellschaft gehört, auf die „stolz“ zu sein sich so viele rühmen, entbirgt hier nicht einer gewissen Ironie.

Nicht diejenigen, die das eigene Land kritisieren, gefährden dieses. Sondern diejenigen, die dies nicht ertragen. Nationalismus ist nicht Patriotismus, ist nicht Heimatgefühl, ist nicht Stolz. Nationalismus ist ausschliessend, Nationalismus ist Ideologie, Nationalismus ist Selbstzweck, Nationalismus ist ein Selbstläufer. Und damit gefährlich.

So, und jetzt geh ich Feuerwerk ablassen.