Stell dir vor, der Multilateralismus wird 100 und kaum eine/r feiert mit. Um das multilaterale Engagement der Schweiz breiter abzustützen und ihm damit auch zu Legitimität zu verhelfen, braucht es eine inklusive und fundierte öffentliche Debatte. Gerade auch in Hinblick auf die UNO-Sicherheitsratskandidatur der Schweiz für die Periode 2023/24 ist dies zentral.
2019 jährt sich die Gründung des Völkerbundes, quasi des Vorläufers der UNO, zum hundertsten Mal. Ein Jahrhundert ist es zudem her, seit die Internationale Arbeitsorganisation in Genf gegründet wurde. Das grosse Feiern bleibt, zumindest innerhalb der Schweizer Bevölkerung, allerdings aus. Warum?
Die Schweiz ist nicht erst, aber insbesondere, seit ihrem UNO-Beitritt vor 17 Jahren ein enorm aktives Mitglied der multilateralen Gemeinschaft. Sie bringt sich auf verschiedenen Ebenen mit lösungsorientierten Ansätzen ein, fördert multisektorielle Ansätze und stellt nicht zuletzt mit dem Internationalen Genf der Welt eine einmalige Plattform zur Zusammenarbeit über thematische, institutionelle sowie territoriale Grenzen hinweg zur Verfügung.
Für einen Grossteil der Schweizer Bevölkerung ist Genf jedoch – nicht nur geographisch – weit entfernt. Es zeigen sich nicht nur eine zunehmende innenpolitische Skepsis gegenüber multilateraler Kooperation im Allgemeinen, sondern auch eher geringe Kenntnisse des Geschehens in Genf im Besonderen. Bestätigt hat sich dies im Rahmen der foraus – Tour de Suisse zum Internationalen Genf, welche im ersten Halbjahr dieses Jahres quer durch die Schweiz gereist ist und zum Ziel hatte, das Internationale Genf in den Rest der Schweiz zu tragen. Die Veranstaltungsreihe hat gleichzeitig eindrücklich veranschaulicht, dass in der Bevölkerung ein potentiell grosses Interesse an multilateralen Themen besteht, wenn sie denn zu einem Teil der öffentlichen Debatte gemacht werden.
Und genau dieser Punkt ist zentral: Auch die multilaterale Politik muss von einer fundierten, inklusiven und partizipativen öffentlichen Debatte begleitet werden, um ihre Unterstützung und die Sensibilität für ihre Bedeutung in der Bevölkerung auszubauen. Es lässt sich beobachten, dass das innenpolitische Interesse an aussenpolitischen Fragen derzeit generell zunimmt – die letztjährige Debatte um den UNO-Migrationspakt hat dies exemplarisch aufgezeigt. Begleitet werden solch punktuell aufflammende Debatten von der generellen Forderung nach mehr Mitsprache des Parlamentes gerade auch in multilateralen Entscheiden.
Nun ist verstärkte Partizipation und eine Ausweitung der innenpolitischen Diskussion zu diesen Fragestellungen natürlich grundsätzlich zu begrüssen – es bedingt aber eine veritable und ausgewogene Debatte, in welcher zuallererst eine faktenorientierte Berichterstattung im Vordergrund steht. Eine Thematik, in welcher dies in den nächsten Jahren von zentraler Bedeutung sein wird, ist die Kandidatur der Schweiz für einen Sitz als nichtständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat in den Jahren 2023/24. Der Einsitz in diesem Gremium bringt für die Schweiz enorme Chancen und Möglichkeiten mit sich – auf welche auch in den weiteren Beiträgen dieser Blogreihe noch im Detail eingegangen wird. Um aber diese Chancen einer Sicherheitsratsmitgliedschaft aufzuzeigen und sie zu vergegenwärtigen, ist eine aufgeklärte Diskussion zur Thematik von grosser Wichtigkeit. Was braucht es dafür konkret?
- Eine breite, regelmässige und faktenbasierte mediale Berichterstattung, welche die bisher im Vordergrund stehenden pointiert meinungsbasierten Stimmen fundiert und ergänzt. Erste Orientierungshilfe können hier verschiedene interne und externe Berichte von Expert/innen zur Thematik bieten – wie sie beispielsweise im Argumentarium des Bundesrates oder in unabhängigen Expertenberichten zur Thematik zu finden sind. Ansätze, um dem Geschehen in Genf medial verstärkt Visibilität zu verleihen, sind wichtige Schritte auf diesem Weg. Essentiell ist die sprachregionenübergreifende Aufbereitung und Ausstrahlung: Das Zielpublikum befindet sich in allen Landesteilen.
- Online und offline Plattformen, welche der Bevölkerung die Möglichkeiten bieten, sich einerseits zu informieren und andererseits auszutauschen. Dies geht von Veranstaltungen mit partizipativen Formaten über die erwähnten medialen Ansätze bis hin zu innovativen Plattformen der Kollaboration wie Crowdsourcing-Tools.
- Ein kontinuierliches Engagement der Zivilgesellschaft, welche ihre Ressourcen über Organisations- und Sprachgrenzen hinweg koordiniert und sich kooperativ für das gemeinsame Anliegen einsetzt. Im Fokus soll hier nicht die Stimmungsmache, sondern eher die Aufklärung, das Wecken des Interesses und die Vermittlung von Kenntnissen zur multilateralen Welt stehen.
Es ist nicht zuletzt aus direktdemokratischer Perspektive bedauerlich, wenn zu einem solch bedeutenden Projekt der Schweiz wie der UNO-Sicherheitsratskandidatur nur – wie bisher geschehen – jene Stimmen gehört werden, die punktuell am lautesten (auf den Stammtisch) poltern. Was das zukünftige Sicherheitsratsmitglied Schweiz braucht, ist eine innenpolitisch aufgeklärte und inklusive Diskussion zu ihrem aktiven multilateralen Engagement – damit nicht nur der Jahrestag des Multilateralismus 2019, sondern auch die Wahl der nichtständigen Sicherheitsratsmitglieder in drei Jahren zur grossen Wahlparty von Chiasso bis Basel, von Chur bis Genf, von Stadt bis Land, von links bis rechts und von jung bis alt wird! Die Blogreihe, zu welcher dieser Post den Auftakt bildet, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
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