Globale Umweltgemeingüter sind wichtig zum Erreichen der meisten SDGs und gleichzeitig durch Konsum und Produktion bedroht. Zu ihrem Schutz sind sehr unterschiedliche Rechtssysteme relevant, welche teils zueinander inkohärent sind.
von Sebastian Niessen
Der Global Sustainable Development Report 2019 definiert globale Umweltgemeingüter als Gemeingüter, welche sich ausserhalb nationaler Jurisdiktionen befinden (z.B. Atmosphäre, Ozeane) oder zwar innerhalb solcher liegen, aber Leistungen auch ausserhalb dieser erbringen (z.B. Regenwälder, Biodiversität, Land, Moore). Der Bericht identifiziert diese Gemeingüter als einen Einstiegspunkt zum Erreichen der Agenda 2030. Sie beeinflussen nämlich direkt zahlreiche nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs): Eine Verschlechterung der globalen Umweltgemeingüter hat beispielsweise negative Auswirkungen auf Ernährung, Wassernutzung, Gesundheit und Wirtschaftskraft.
Zu einigen globalen Umweltgemeingütern gibt es multilaterale Abkommen, z.B. zu Biodiversität, Desertifikation und Klima. Doch ihre Gefährdung hängt eng mit anderen Sektoren als der Umweltpolitik zusammen. Eine Rolle spielt dabei Konsum und Produktion, der Gegenstand des SDG 12. Denn oft gefährdet die Produktion von Konsumgütern ein Umweltgemeingut. Entsprechend sind zum Schutz globaler Umweltgemeingüter insbesondere mit Handelspolitik und Ernährungssystemen verknüpfte Rechtssysteme relevant. Diese können untereinander sowie mit Umweltrecht Synergien bilden, aber auch in Konkurrenz stehen. Im Folgenden führe ich einige Beispiele auf.
Welthandelsrecht und internationales Investitionsrecht
Bezüglich globaler Umweltgemeingüter ist relevant, wie ein Produkt hergestellt wurde: Der Fussabdruck entsteht bei der Produktion (nicht im Land der Endverbraucher). Genau das, die Prozess- und Produktionsmethoden (PPM), kann im WTO-Recht jedoch nur als Ausnahme berücksichtigt werden, während Umweltstandards genau auf diesen PPM beruhen. Im Ausland anfallende Externalitätskosten, also sich nicht im Preis widerspiegelnde Umwelt- und Sozialkosten für die Allgemeinheit, können daher im WTO-Recht nur in rechtlichem Graubereich beispielsweise durch Zölle internalisiert werden. Somit gibt es keine Anreize für nachhaltige Produktion: Diese führt zu höheren Kosten für Produzenten und Verbraucher. Das Verursacher- und das Vorsorgeprinzip des Umweltrechts mit dem Handelsrecht zu vereinbaren, kann somit einen Spagat erfordern.
Internationales Umweltrecht verfügt im Gegensatz zu WTO- und Investitionsrecht oft über keine wirksamen Umsetzungs- oder Sanktionsmechanismen. Das führt dazu, dass zwischenstaatliche Streitschlichtungen zu Umweltfragestellungen hauptsächlich über WTO-Mechanismen ablaufen (Cima, 2021), und dass bei Konflikten zwischen den Rechtssystemen im Zweifelsfall diejenigen mit Umsetzungsmechanismen ausschlaggebend sind (Perrings, 2012). Dabei sieht das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vor, dass bei der Interpretation von Verträgen der Kontext berücksichtigt wird. Hierzu ist es nötig, dass die entsprechenden Jurist:innen Kenntnisse beispielsweise über das Handels- oder Investitionsrecht hinaus mitbringen. Problematisch wird es, wenn Entscheide hochspezialisierter Jurist:innen nicht anfechtbar sind. Aktuell trifft das bei Investitionsschutzabkommen, welche auf dem von der Schweiz genutzten ICSID-System basieren, zu. Bei Investitionsschutzabkommen basierend auf UNCITRAL Model Law können Entscheide der Schiedsgerichte hingegen angefochten werden, sodass es eine weitere Instanz gibt, welche auch weitere Aspekte des Völkerrechts berücksichtigen könnte.
Subventionsrecht
Die Massentierhaltung in Europa trägt indirekt zu Waldrodungen im globalen Süden bei, intensive Landwirtschaft ist für 80% der globalen Entwaldung (GSDR, 2019) und für die Eutrophierung von Meeren verantwortlich. Im Gegensatz zur Gemüseproduktion wird ein Grossteil der bei der Fleischproduktion in Industrieländern entstehenden Kosten durch die Allgemeinheit getragen (Vision Landwirtschaft, 2019), wodurch Fleischkonsum künstlich verbilligt wird. Neben Externalitätskosten spielen hierbei Subventionen eine Rolle. Agrarsubventionen in Industrieländern gelten zudem als ein Haupthindernis für die Einführung nachhaltigerer Produktionsmethoden in Entwicklungsländern.
Kartellrecht
Intensive landwirtschaftliche Nutzung führt zur Degradierung von Böden, 75% aller Landflächen sind in alarmierendem Zustand (Fischer & Oberhansberg, 2021). Beschädigter Boden lässt sich nicht mehr landwirtschaftlich nutzen, die aktuelle Überproduktion insbesondere in Industrieländern gefährdet somit langfristig unsere Ernährungssicherheit. Anders als in Krisensituationen oft behauptet, ist intensive Produktion zudem auch für die kurzfristige Ernährungssicherheit irrelevant: Aktuell ist der Welthunger nicht das Resultat von zu wenig Produktion, sondern von Verteilung, Essgewohnheiten, Food Waste und der Nutzung von Agrarfläche zur Produktion von beispielsweise Tierfutter oder Kleidung. Hier kommt das Kartellrecht ins Spiel. Denn auch die Landwirt:innen profitieren kaum von der Überproduktion. Eine hohe Produktion führt bei konstanter Nachfrage nämlich auch zu geringeren Preisen (Binswanger, 2020). Von der Überproduktion profitieren aufgrund ihrer Marktmacht somit v.a. die Grossverteiler. Im Schweizer Kartellrecht gibt es wenig Handhabe dagegen, auf EU-Ebene und in Neuseeland Reformbemühungen.
Welterberecht
Die UNESCO-Welterbekonvention, Artikel 6(3), verbietet Staaten bewusste Handlungen, welche indirekt Welterbe bedrohen, welches sich auf ihrem oder fremdem Gebiet befindet (Scott, 2020). Dies schliesst beispielsweise Regenwälder mit ein. Man könnte das so interpretieren, dass z.B. Subventionen für Massentierhaltung gemäss Welterberecht illegal sind. Das hierbei etablierte «gemeinsames Erbe der Menschheit»-Prinzip lässt sich zudem theoretisch auf alle globalen Umweltgemeingüter anwenden.
Indigene Rechte
Mindestens 80% globaler Biodiversität befindet sich auf indigenem Land, bei weiteren Umweltgemeingütern wie Regenwäldern ist die Situation ähnlich. Entsprechend ist die Berücksichtigung indigener Rechte beim Schutz globaler Umweltgemeingüter unerlässlich. Diese bestehen aus lokalen Landrechten, Gewohnheitsrecht und internationalen Abkommen. Relevant ist dabei z.B. die Konvention 169 der internationalen Arbeitsorganisation (ILO), welche in Europa u.a. von Deutschland, den Niederlanden und Norwegen ratifiziert wurde. Als Folge müssen diese Länder darauf achten, unter welchen Bedingungen importierte Rohstoffe abgebaut wurden.
Beim Schutz globaler Umweltgemeingüter gibt es also Inkohärenzen zwischen verschiedenen multilateralen Verpflichtungen, welche insbesondere aus Konsum und Produktion erwachsen. Priorisierungen bei Zielkonflikten in der Umsetzung von Abkommen müssen dabei national sowie multilateral politisch und juristisch gelöst werden.
Disclaimer: Der Autor war zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Präsenz Schweiz (EDA) tätig. Er äussert sich hier in seiner persönlichen Eigenschaft. Die im Text geäusserten Ansichten sind weder als offizielle Haltung der Schweiz bzw. des EDA zu verstehen, noch handelt es sich um eine Publikation des EDA.
Image credits: Oryza & Soy on flickr