Der Armut entwachsen? Der Denkfehler in den SDG

Politique de développement

Die SDG wollen die Armut mit einem Wachstum für alle überwinden, ohne dass an dessen Grenzen gedacht wird. Nur eine Innovationswende kann hier die nötigen Reformen bringen.

 

“Probleme kann man niemals
mit derselben Denkweise lösen,
durch die sie entstanden sind.”
Albert Einstein

Laut dem vielversprechende Namen “Transforming our World” zielt die Agenda 2030 darauf ab, einen transformativen, also strukturellen Wandel herbeizuführen. Kernstück sind die 17 Sustainable Development Goals (SDG), welche die Millenniumsentwicklungsziele nicht nur ablösen, sondern stark ausweiten. In dem dreijährigen Vorbereitungsprozess hat die Schweiz eine aktive Rolle eingenommen und ihre Handschrift ist in einigen der Zielen zu erkennen. Dies soll anerkannt werden und die Umsetzung im eigenen Land vorantreiben. Nichtsdestotrotz hat die Agenda einige Schwächen und ein grosses Defizit.

Vereinfacht lässt sich die Kritik an den SDG in zwei Lager teilen; den einen gehen sie zu weit, den anderen zu wenig weit. Zu ersteren gehören bekannte Namen wie das Wirtschaftsmagazin The Economist, welches behauptet, dass die SDG “worse than useless” sind. Diese Gruppe kritisiert den Umfang der Ziele und fürchtet wohl auch fortschrittliche Massnahmen zum Beispiel bei der Reduktion von Ungleichheit (SDG 10).Auf der anderen Seite gibt es die Kritik der organisierten Zivilgesellschaft, welche wichtige Punkte anspricht, wie beispielsweise die fehlende Rechenschaftspflicht, v.a. betreffend dem privaten Sektor. Die überragende Enttäuschung betrifft jedoch das – zumindest ehemals – zentrale Ziel der Armutsbekämpfung. Das Ende der Armut ist gewiss an prominenter erster Stelle (SDG 1), als Hauptpfeiler zur Armutsreduktion wird jedoch erneut auf Wachstum gesetzt (SDG 8); von mindestens sieben Prozent jährlich ist die Rede (SDG 8.1). Dies soll unter anderem über gesteigerte Exporte (SDG 17.11) und mehr Freihandel (SDG 17.10) geschehen. Um das altgestrige Rezept “mehr wirtschaftliches Wachstum gleich mehr Armutsreduktion” zu widerlegen, kommt eine Studie von David Woodward (2013) gelegen, welche auf Daten der Weltbank basieren.

Ein Spurt in der Armutsreduktion wäre nötig

In den letzten drei Jahrzehnten gab es einige Erfolge in der Armutsbekämpfung, wovon jedoch die Ärmsten der Armen,v.a. ausserhalb Chinas, zu wenig profitiert haben. Laut Woolward gingen nur fünf Prozent des globalen Wirtschaftswachstums zwischen 1981 und 2010 zugunsten der Ärmsten 60 Prozent unseres Planeten. Woolward berechnete nun, wie lange es dauern würde, um mit einer solchen Wachstumsverteilung die globale Armut effektiv zu bekämpfen. Laut ihm braucht es mindestens 100 Jahre, um die extreme Armut auf der Erde zu beenden, d.h. bis jeder Mensch über 1.25 Dollar pro Tag zur Verfügung hat– ein Level, welches bis 2030 durch die SDG Realität werden soll. Um auf 5 Dollar pro Tag zu kommen, bräuchte es sogar 200 Jahre. Dafür müssten der globale Konsum und dementsprechend die Produktion um den Faktor 175 ansteigen.

Richtigerweise fügt Woolward sogleich an, dass auch dieses düstere Szenario noch weitaus dunkler wird, wenn die Bekämpfung des Klimawandels als weiteres Ziel hinzukommt. Die planetarischen Grenzen zwingen uns zu einem tiefgründigen Umdenken. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel zeigen deutlich auf, dass die Wirtschaft nicht weiter die anderen zwei Eckpfeiler der Nachhaltigkeit überragen darf. Es reicht somit bei weitem nicht, wenn bei den SDG “inclusive and sustainable” vor dem Wachstum steht. Innovative Ideen und tiefgründige Reformen sollten diskutiert werden, die hier nur als Stichworte genannt werden können: ein globaler Schuldenschnitt für die ärmsten Länder, Bekämpfung von Steuerflucht, eine CO2-Steuer,…

Mehr mag real-politisch vielleicht nicht möglich gewesen sein. Doch ist es meines Erachtens gerade die Aufgabe einer Denkfabrik, die sich als Sprachrohr für junge DenkerInnen sieht, diese real-politischen Grenzen zu überwinden, so dass die in der Agenda 2030 angesprochene “Mutter Erde” wirklich als Heimat der ganzen Menschheit anerkannt wird. Denn mit der jetzigen Agenda besteht die Gefahr, dass wir zumindest bei der Armutsbekämpfung hinter der versprochenen Transformation zurück bleiben.