Die neue Zauberformel: Angst vor Abwahl + Angst vor Volk = Gültigkeit von Initiativen

Diplomatie & acteurs internationaux

Wenn die parlamentarische Demokratie einen Sinn erfüllen soll, dann die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien: Auch im Umgang mit Volksinitiativen. Ansonsten schaffen wir sie besser ab.

 

In der Schweiz gibt es sie noch, diese direkteste Form der Demokratie, in der die gesamte Basis auflaufen kann und zusammen über alles abstimmen kann: die Landsgemeinde. An der letzten in Glarus wählten die Männer und Frauen zum Beispiel ein Mitglied des Kantonsgerichts, setzten den Steuerfuss für 2014 fest und änderten einige Gesetze. Auch wenn die Schweiz ungleich grösser als der Kanton Glarus ist, sollten wir angesichts der heutigen Situation des Parlamentes vielleicht auf die Institution der Landsgemeinde zurückgreifen: Schluss mit Parlamentarismus! Alle könnten etwa via Internet über die vom Bundesrat vorbereiteten Vorlagen abstimmen.

Wenn das Parlament seine Aufgaben nicht wahrnimmt, können die Stühle im Nationalratssaal gleich leerbleiben. (Bild: parlamentsdienste, wikimedia commons, Lizenz)

Dies klingt polemisch. Jedoch leben wir heute bereits in dieser Situation – ohne dass sie institutionalisiert ist: Bundesrat und Parlament, beziehungsweise deren Parteien und Personen, haben aus wahltaktischen Überlegungen die Meinung entwickelt, dass die Stimmbürger über alles entscheiden sollen. Volkes Zorn wird allseits gefürchtet, niemand möchte als Abstimmungsverweigerer und Antidemokrat dastehen. Dabei wäre es die Aufgabe des Parlaments, formal fehlerhafte Initiativen zurückzuweisen. Das Parlament ist schliesslich die Vertretung allen, die sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigen wollen oder können.

Alles nachhaltig und so

Kann das Parlament diese Aufgabe nicht wahrnehmen, wäre es sinnvoller, es gleich aufzulösen. Bestes Beispiel: nach dem Bundesrat hat sich auch die Staatspolitische Kommission des Ständerats dafür ausgesprochen, die von der ökofaschistischen Vereinigung Ecopop gesammelte Initiative gegen Überbevölkerung für gültig zu erklären. Die Kommission sah ein übergeordnetes Anliegen der Nachhaltigkeit – und damit die Einheit der Materie gewährleistet.

Die Initiative will zwei Dinge: ersten sollt die Einwanderung in die Schweiz nicht mehr als 0.2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung betragen, was ungefähr 16‘000 Personen entspricht, zum Vergleich: 2012 sind allein in den Kanton Basel-Stadt 10‘000 Personen eingewandert. Zum Zweiten will die Initiative, dass rund zehn Prozent des Budgets für Entwicklungszusammenarbeit zur Familienplanung in den Empfängerländern eingesetzt werden.

Bundesrat und Parlament beweisen Kreativität und Phantasie, indem sie hier ein gemeinsames Ziel zu erkennen glauben und die Einheit der Materie gewahrt zu sehen. Davon abgesehen ist die Idee ziemlich kühn, dass aufgrund von Familienplanung irgendwo auf der Welt weniger Personen in die Schweiz kommen. Dies könnte daran liegen, dass die Initianten vor vierzig Jahren mal den Club of Rome-Bericht gelesen haben, sich aber seither wohl kaum ernsthaft mit der Migrationspolitik auseinander gesetzt haben: Denn es gibt keinen allgemeinen Zusammenhang zwischen hohem Bevölkerungswachstum und Emigration. Und überhaupt: soll das Wachstum einer Bevölkerung gedämpft werden, ist der Königsweg – Iran lässt grüssen – die Ausbildung von Frauen, sofern ein solch kolonialistischer Ansatz gewünscht wäre.

Und das ist vielleicht das tröstliche: Auch wenn nur noch 16‘000 Menschen jährlich in die Schweiz einwandern dürften, der zweite Teil der Initiative wäre einfach zu erfüllen: das EDA könnte das von Ecopop geforderte, für Geburtenkontrolle einzustellende Budget für Bildungsprojekte ausgeben.