Jonas J. Schmid – Dem Föderalismus kommt in der Schweiz ein hoher Stellenwert zu. Aufgrund der Tangierung von kantonalen und EU-Kompetenzen wäre aber mit Einschränkungen der gesetzgeberischen Selbstbestimmung zu rechnen. Zudem böten sich auch viele Mitwirkungsmöglichkeiten in der europäischen Regionalförderung.
Der Beitrag ist Teil einer Blog-Reihe zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU, welche den Ist-Zustand sowie Chancen und Risiken von künftigen Entwicklungen aufzeigt und gewichtet. Während fünf Wochen wird hier jeden Donnerstag ein neuer Beitrag dazu erscheinen.
Als K.o.-Argument in Europa-Integrationsdiskussionen werden neben der direkten Demokratie auch häufig die Eigenheiten des Schweizer Föderalismus erwähnt, dessen Mehrstufigkeit und spezifische Ausprägungen zu einem grossen Teil die Identität der Bevölkerung bestimmen. Untersucht man die Sachlage genauer, muss festgestellt werden, dass dieses Argument der Komplexität der Situation nicht gerecht wird.
Die Kantone würden bei einem Schweizer Beitritt zur EU einen Kompetenzverlust in denjenigen Bereichen erleiden, welche durch die Union geregelt werden. Schon heute sind die Kantonskompetenzen durch das Völkerrecht und die Bilateralen Verträge in ihrer Selbständigkeit über die nationale Ebene hinaus eingeschränkt. Die EU arbeitet jedoch, so wie das die Schweiz bereits kennt, auch nach dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EUV). Die Übernahme einer neuen Kompetenz der Union funktioniert nur, wenn deren Mitgliedstaaten sich einstimmig dafür aussprechen.
Die bereits heute fühlbare Tendenz zum Vollzugsföderalismus der Kantone würde gewiss verstärkt. Zudem gelten EU-Verordnungen, welche die Kantone betreffen, direkt und ohne Umsetzung, was das Selbstbestimmungsrecht der Kantone einschränken würde. Etwa im Bereich der Unternehmensbesteuerung oder der Akkreditierung von Berufsdiplomen (Ärztezulassung etc.) hätten die Kantone an individueller Gestaltungsmöglichkeit verloren. Verordnungen stehen im Gegensatz zu EU-Richtlinien, welche nur einen gesetzlichen Rahmen vorgeben, aber den zuständigen Einheiten Gestaltungsraum in ihrer Umsetzung belassen. Hier wäre z.B. das Bauwesen ein grosser kantonaler Bereich, der durch Standard-setzende Richtlinien beeinflusst wäre. In vielen Bereichen halten die Kantone zwar die Standards bereits ein oder gehen sogar noch weiter als vorgeschrieben. Falls die Kantone die Richtlinien nicht umsetzen würden, hätten sie ein Verfahren vor dem EuGH zu befürchten, zu erwarten wäre allerdings nichts anderes als ein saftiges Bussgeld.
Doch wie handhaben eigentlich andere föderale Länder die Kompetenzabschreibungen? Österreich zum Beispiel kennt das Länderbeteiligungsverfahren, welches den verschiedenen Gliedstaaten ein Recht auf Information und Stellungnahme garantiert. Ist diese Stellungnahme einheitlich, ist der Bund daran gebunden. Belgien hingegen hat mit den Regionen ein Zusammenarbeitsabkommen abgeschlossen. Es sieht vor, dass, falls die Diskussion die Kompetenzen der Regionen berührt, auch die Regionen die Verhandlungsdelegation stellen und umgekehrt. Ähnliches liesse sich auch für die Schweiz überlegen.
EU-Mitgliedschaft als Chance für Kantone
Wäre die Schweiz ein Vollmitglied könnte sie mit einer Verhandlungsdelegation im institutionalisierten Ausschuss der Regionen der EU teilnehmen, wo die Kantone momentan keinen Zugang haben. Dieser war bis zum Vertrag von Lissabon ein konsultatives Komitee, hat nun aber die Möglichkeit über ein sogenanntes Frühwarnsystem den EuGH anzurufen, um eine Massnahme auf ihre Subsidiarität zu prüfen. Zudem stünde es den Kantonen auch offen, für die Realisierung von regionalen Projekten die verschiedenen strukturellen EU-Fonds um Geld zu bitten. Diese machen immerhin den zweitgrössten Haushaltsposten des jährlichen EU-Budgets aus.
Es lässt sich heute aber nicht abschliessend sagen, wie genau die Kantone tangiert würden, da vieles von den Details im ausgehandelten Beitrittsvertrag abhängen würde. Es wird nicht ohne Einschränkung der kantonalen Selbstbestimmung gehen, aber dies würde (mehr als) kompensiert durch die zusätzlichen Chancen und Mitspracherechte, welche die Struktur der Regionalpolitik der EU den Kantonen offerieren könnte.
Jonas Schmid absolviert einen Master in Vergleichender Internationaler Politik an der ETH Zürich und lebt in Bern. Er dankt Seline Fischbacher, Emanuel Gyger und Simon Haefeli für das zur Verfügung stellen eines nicht veröffentlichten Papers zum Thema.
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