Vorwärts Marsch? Eine Erwiderung auf die Ansprache des Bundespräsidenten zum 1. August 2013

Europe

Von Patrice Martin Zumsteg – Ueli Maurer zeichnet in seiner Rede zur Bundesfeier ein bedrohliches Bild der Schweizer Aussenpolitik. Doch die Lösung der gegenwärtigen Probleme liegt nicht in einer neuen geistigen Landesverteidigung, sondern in der verstärkten Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn und der Staatenwelt.

Bundespräsident Ueli Maurer hat seine Ansprache zur diesjährigen Bundesfeier in weiten Teilen den Aussenbeziehungen der Schweiz gewidmet. Leider ist diese Rede eines Bundespräsidenten kaum würdig. Sie lässt sich nicht von den Reden unterscheiden, die Ueli Maurer gehalten hat, bevor er am 10. Dezember 2008 in die Landesregierung gewählte wurde. Aber der Reihe nach:

Ueli Maurer will feststellen können, dass internationale Organisationen und grosse Staaten immer häufiger auf Macht statt auf Recht setzen würden. Dies trifft nicht zu, wenn wir unseren Blick auf die aktuellen Fragen der schweizerischen Aussenpolitik werfen: Beim Steuerstreit mit Deutschland wurde eine rechtliche Regelung gesucht und gefunden, die leider dem deutschen Abstimmungskampf zum Opfer gefallen ist. Das Gleiche gilt für die Diskussion zum Fluglärm – nur dass dieser Vertrag massgeblich durch die SVP versenkt wurde. Die Liste liesse sich um Bilaterale I und II, Erbschaftssteuerabkommen, Abgeltungssteuer etc. fortsetzen. Immer ist festzustellen: Die Lösung liegt in der Diplomatie, im Abschliessen von Staatsverträgen, im Völkerrecht und nicht in Machtpolitik.

Die Schweiz werde verunglimpft und erpresst, fabuliert der Bundespräsident weiter. Von wem? Wodurch? Es ist doch nicht falsch, festzustellen, dass die Schweizer Banken und mit ihnen unsere Volkswirtschaft jahrelang von Schwarzgeld aus dem Ausland profitiert haben. Und es ist das gute Recht der EU, keine weiteren Verträge mit der Schweiz schliessen zu wollen, bis das aus ihrer Sicht drängendste Problem – die institutionellen Fragen – gelöst ist. Natürlich haben Hochsteuerländer wie Deutschland und Frankreich ein Interesse daran, auch auf Vermögen ihrer Staatsbürger zu greifen, welche in der Schweiz liegen. Solche Interessen vorzubringen, ist legitim und dass dies mit einigem Nachdruck geschieht, ist durchaus nachvollziehbar und bei Verhandlungen nicht unüblich. Mit Beschimpfung und Erpressung hat dies nichts zu tun. Die Schweiz ist frei, mit anderen Staaten Verträge zu schliessen oder dies zu lassen. Peer Steinbrücks Gerede schliesslich mag für Unmut, aber sicher nicht für Angst gesorgt haben.

Mit Nachgeben würden keine Probleme gelöst, fährt Ueli Maurer fort. Das ist gleich in zweifacher Hinsicht falsch. 1. Natürlich können Probleme dadurch gelöst werden, in dem eine der beteiligten Parteien nachgibt – das erfahren wir alle im täglichen Umgang mit unseren Partnerinnen, Freunden, Mitarbeiterinnen und Sitznachbarn in der S-Bahn. 2. In allen Verhandlungen gilt, dass ich etwas geben muss, wenn ich etwas erhalten möchte. Die Schweiz möchte ihren sektoriellen Marktzugang in der EU erweitern? Dann muss sie der EU im Gegenzug etwas anbieten können. Die Schweiz möchte den Flughafen Zürich als internationalen Hub positionieren? Dann muss sie den fluglärmgeplagten Süddeutschen etwas anbieten können. Wer behauptet, diese Fragen könnten dadurch gelöst werden, dass der Bundesrat entschlossener führe, sagt ganz einfach nicht die Wahrheit.

Schon im Bundesbrief stehe, dass wir keine fremden Richter wollen, hält der Bundespräsident schliesslich fest und verweist auf die Geschichte der Schweiz. Doch die Geschichte der Schweiz ist eine vom Völkerrecht geprägte und durchwegs europäische Geschichte. Der Alten Eidgenossenschaft wurde ihre Unabhängigkeit nämlich durch die Reichsunmittelbarkeit garantiert, also durch ihre Beziehung zum Kaiser. Dies kann in unserer heutigen Republik kaum der Traum von Ueli Maurer und seiner Partei sein. Die erste Verfassung, welche die Schweiz nach dem Untergang des Ancien Régime (in den Worten der SVP wohl so eine Art adlige Classe Politique) gliederte und in die Moderne führte, war jene der Helvetik. Nur war diese Verfassung kein Geschöpf der Landsgemeinde, sondern ein Diktat Napoleons. Nachdem dieser besiegt wurde, kam es 1815 zum Wiener Kongress und die europäischen Grossmächte befanden, dass es doch besser sei, die Schweiz nicht aufzuteilen, sondern sie – im Sinne eines politischen Gleichgewichts – auf die Neutralität zu verpflichten und damit allen europäischen Staaten als wichtiges Durchgangsland zu erhalten. Genauso ist die Schweiz heute Teil eines neuen Europas und es gilt, eine Regelung für diese Beziehungen zu finden, welche den Interessen des heutigen Europas ebenso Rechnung trägt, wie den Interessen der Schweiz. Durch eine solche internationale Kooperation mit anderen Staaten eröffnen sich Möglichkeiten, welche ansonsten nicht vorhanden wären. Ein Land, das wirtschaftlich derart vernetzt ist, wie die Schweiz, sollte daran nicht erinnert werden müssen – und auch der Bundespräsident nicht.

Die Rede von Ueli Maurer unterschlägt all diese Fakten und ist geprägt von den durch die SVP geäusserten Parolen. Demnach sei die Schweiz von aussen bedroht und die beste Art, sich zur Wehr zu setzen, sei die Verweigerung einer Zusammenarbeit. Der Bundespräsident vergisst, worauf ihn unsere Verfassung verpflichtet. Die Freiheit und Unabhängigkeit, welche er mehrfach erwähnt, gilt es nämlich „in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken“. Ich wünsche mir, dass heute die Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes auch dies bedenken.

Patrice Martin Zumsteg ist Jurist und lebt in Zürich. Er leitet bei foraus das Programm Europa.

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