In Deutschland stehen am 23.02.25 Neuwahlen an und der Wahlkampf ist zunehmend hitzig geworden. Dieser Beitrag beleuchtet die zentralen Themen und die Ausgangslage des politischen Schlagabtauschs. Im Folgebeitrag werden mögliche Auswirkungen der Wahl auf die Schweiz untersucht.
Ringen um eine neue Migrationspolitik
Mit Merkels Politik der offenen Arme und später unter der Ampel-Regierung war in Deutschland eine grosse politische Solidarität gegenüber Menschen auf der Flucht zu verzeichnen. Doch frühestens seit der Flüchtlingskrise 2015 und spätestens seit der russischen Aggression gegen die Ukraine 2022 ist die Zuwanderung für die Bevölkerung ein emotional geladenes Thema. Viele Deutsche fürchten einen zunehmenden Verlust ihrer Jobsicherheit und Kaufkraft. Dass die AfD von Wähler:innen als die kompetenteste Partei in Bezug auf Migration und Asyl wahrgenommen wird, führt zu einer Erstarkung der Rechten. Zahlreiche Wähler:innen schieben in der Hitze des Gefechts die Probleme rund um Zuwanderung und Asyl auf die Ampel-Regierung. AfD und BSW versprechen einen verschärften Kurs und mehr Kontrolle der Migration. Während die Union einen faktischen Aufnahmestopp per sofort verspricht und eine grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik anstrebt, möchte die SPD weiterhin eine solidarisch gesteuerte Migration. Ende Januar erreichte die Debatte rund um Asyl und Migration ihren Siedepunkt, als die CDU im Bundestag erstmals offen mit der AfD kooperiert hat und eine Mehrheit zustande kam. Ist damit die Brandmauer gefallen?
Deutschlands Wirtschaft am Scheideweg
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem fragilen Zustand. Stagnierendes Wachstum, schwindende Innovationskraft und eine Steuerlast, die Unternehmen zunehmend die Luft abschnürt, dominieren die Debatte. Während die Politik sich ideologisch erhitzt, bleiben pragmatische Lösungen rar. Dies äussert sich in einer schrumpfenden Wirtschaft mit einem Rückgang von 0,2% in 2024. Für 2025 wird ein Wachstum von 0,3% prognostiziert – ein schwacher Hoffnungsschimmer angesichts der drohenden dritten Rezession in Folge für die Bundesrepublik. Die Parteien präsentieren unterschiedliche Ansätze, um den Wirtschaftsstandort wieder auf Vordermann zu bringen.
Während KI-Innovationen aus den USA und Elektroautos aus China Fortschritte demonstrieren, leidet Deutschland – zusammen mit Europa – unter Überregulierung und einem zunehmenden Bürokratieaufwand, der vor allem den Mittelstand stark belastet. So wollen Union und FDP das Lieferkettengesetz komplett kippen, während die SPD daran festhält und die Grünen seine bürokratiearme Umsetzung anstreben. Ob diese Massnahmen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands global retten werden, bleibt fraglich. Gleichzeitig setzen SPD und Grüne auf Steueranreize zur Förderung privater Investitionen und plädieren dafür, dass wer oben sitzt, auch tiefer in die Tasche greifen soll. FDP und Union schwören hingegen auf Milliardenentlastungen und höhere Verteidigungsausgaben, ohne die Schuldenbremse zu lockern. Selbst die Atomkraft feiert ein kleines Comeback. Unübersehbar bleibt der demografische Wandel, der Marsch der Babyboomer in den Ruhestand und die Herausforderungen für die Sozialversicherungssysteme.
Eine hoffnungslos gespaltene Gesellschaft?
Die Stimmung in Deutschland ist getrübt. Im letzten Jahr gab es so viele Demonstrationen und Streiks, dass es schwierig war, überhaupt den Überblick zu behalten. Grundlegende Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien und Unsicherheit, sowie eine zunehmende Polarisierung der deutschen Gesellschaft herrschen innerhalb des Landes. Die Vergangenheit holt Deutschland immer wieder ein – und das macht Angst. Nachrichten wie die Wahlerfolge der AfD oder das Treffen radikaler Rechter in Potsdam treffen Deutschland mitten ins politisch-historische Herz. Auch Unterschiede (ob finanzielle, wirtschaftliche, politische, kulturelle oder identitäre) zwischen West- und Ostdeutschland sind nach wie vor spürbar. Das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie und ihre Institutionen schwindet bedenklich: Eine knappe Mehrheit (51%) der Bürger:innen äussert wenig oder geringes Vertrauen in die Demokratie, ca. 44 % der Deutschen misstrauen der Bundesregierung und sogar 50 % den politischen Parteien. Viele Menschen fühl(t)en sich von der Ampel-Regierung nicht mehr gehört. Auch die Verschiebung der Informationslandschaft (klassische Massenmedien zu Social Media) hat weitreichende Folgen für die politische Meinungsbildung und den demokratischen Diskurs. Viele dieser gesellschaftlichen Trends spielen der rechtspopulistischen AfD direkt in die Hände. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet ein demokratischer Prozess könnte nun dafür sorgen, dass diese Partei, die die demokratische Grundordnung infrage stellt, womöglich in die Regierung eintritt.
Eine Richtungswahl mit Auswirkungen auf die Schweiz
Die Wahl fällt in stürmische Zeiten und der Wahlkampf ist zunehmend emotional. Im Hinblick auf das volatile geopolitische Umfeld und Deutschlands Gewicht in Europa wird sich das Ergebnis der Bundestagswahl weit über die deutschen Grenzen auswirken. Der Ausgang der Wahlen wird auch an der Schweiz nicht spurlos vorbeigehen. Mehr dazu im Folgebeitrag nach den Wahlen.