Von Andreas Graf – Die UNESCO hat diese Woche Palästina als Mitglied aufgenommen. Die Schweiz hat sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Die offizielle und formalistische Begründung des EDA greift zu kurz. Es ist unverständlich, dass die Schweiz in der zentralen Frage der Staatlichkeit Palästinas noch keine Position entwickelt hat. Sie sollte das dringend nachholen.
Am vergangenen Montag stimmten die Mitgliedstaaten der UNESCO mit überwiegendem Mehr dem Beitrittsantrag Palästinas zu. Das Bestreben Palästinas, Mitglied der UNESCO zu werden, ist als Teil einer breit angelegten diplomatischen Initiative zu mehr internationaler Anerkennung der moderaten palästinensischen Führung unter Präsident Mahmoud Abbas zu verstehen. Da der Beitrittsprozess in die UNO stockt, streben die Palästinenser den Beitritt in den in Sachen Mitgliedschaft selbständigen UNO-Sonderorganisationen und weiteren internationalen Organisationen an.
Die offizielle Schweiz tut sich schwer
Nun hat die UNESCO als erste dieser Institutionen einen Entscheid gefällt und Palästina aufgenommen. Die Schweiz hat sich der Stimme enthalten. Ein Positionsbezug pro oder contra UNESCO-Mitgliedschaft Palästinas wäre als klares Signal zu werten gewesen ob die Schweiz Palästina als Staat betrachtet oder nicht. Die offizielle Schweizer Begründung für das Abstimmungsverhalten lautete, dass die UNESCO nicht der geeignete Ort sei, um über die Staatlichkeit Palästinas zu entscheiden. Als geeignetes Gremium für diesen Entscheid betrachtet die Schweiz wohl die UNO-Generalversammlung, wo möglicherweise im Verlauf der nächsten Wochen und Monate über eine Statusaufwertung Palästinas zum Beobachterstaat abgestimmt wird. Die Enthaltung in der UNESCO-Abstimmung sowie die fehlende inhaltlich basierte Begründung sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die Schweiz offensichtlich nach wie vor keine Position in dieser brennenden Frage hat.
Das ist einigermassen erstaunlich. Denn erstens ist der Umgang mit dem internationalen Status Palästinas seit Monaten eine breit diskutierte Frage in der internationalen und nationalen Politik. Der Bundesrat hätte Zeit genug gehabt, sich auf eine Position festzulegen. Zweitens bestand Ende September in der UNO-Vollversammlung die reale Möglichkeit, dass die Palästinenser ihren Antrag auf Statusaufwertung direkt in die UNO-Generalversammlung eingebracht hätten. In diesem Fall hätte die Schweiz innerhalb weniger Stunden eine Position aus dem Hut zaubern müssen. Dass es für dieses Szenario anscheinend keine inhaltlich begründete Strategie gab, die im jetzigen Fall hätte zur Anwendung kommen können, ist befremdlich. Drittens dürften der UNESCO noch Abstimmungen über die palästinensische Mitgliedschaft in einer Reihe weiterer Organisationen folgen – unabhängig davon ob und wann sich die Palästinenser an die UNO-Generalversammlung wenden. Je länger die Schweiz sich weigert Farbe zu bekennen, desto mehr setzt sie die Glaubwürdigkeit ihrer Nahostpolitik aufs Spiel.
Wo liegt das Problem?
In dieser Frage dringen nur sehr spärliche Informationen über den Entscheidungsfindungsprozess des Bundes an die Öffentlichkeit. Warum sich die offizielle Schweiz so schwer tut, kann nur spekuliert werden. An sich obliegt es der Kompetenz des EDA, das Abstimmungsverhalten der Schweiz in den genannten Gremien festzulegen. Über eine dadurch präjudizierte nachfolgende bilaterale Anerkennung Palästinas als Staat müsste jedoch der Gesamtbundesrat entscheiden. Während das EDA und seine Departements-Chefin einer Anerkennung Palästinas positiv gegenüberzustehen scheinen, ist es kein Geheimnis, dass die Mehrheitsverhältnisse im Gesamtbundesrat anders gelagert sind.
Die wahrscheinlichste Erklärung für den Nicht-Positionsbezug der Schweiz ist also folgende: Einerseits möchte sich die Bundespräsidentin und Departements-Chefin des EDA in dieser heiklen Frage nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und ihre Bundesratskolleginnen und –Kollegen durch die offene Unterstützung Palästinas vor den Kopf stossen. Andererseits will sie keinen ablehnenden Entscheid des Bundesrates riskieren und vermeidet es daher, die Diskussion in den Bundesrat zu tragen.
Die Unterstützung der palästinensischen Staatlichkeit ist vordringlich
Doch ob die Schweiz will oder nicht, sie wird in den nächsten Wochen Position beziehen müssen. In einem foraus-Diskussionspapier haben wir bereits vor knapp drei Monaten dargelegt, dass wer weiterhin an eine Zweistaatenlösung glaubt, Palästina als Staat anerkennen sollte. Diese Analyse hat sich in den Wochen seit dem Auftritt von Palästinenserpräsident Abbas vor der UNO Ende September durch die Entwicklungen in der Region bestätigt. Israel weitet den Siedlungsbau aus und möchte nun auch den Bau einer neuen Siedlung zwischen Jerusalem und Bethlehem vorantreiben, was die Isolation Ostjerusalems vom Rest des Westjordanlands beschleunigen würde. Gleichzeitig sind die Palästinenser und allen voran ihr Präsident frustriert über die fehlende internationale Unterstützung für ihre Anliegen. Abbas scheint den Glauben zu verlieren, dass bei Verhandlungen für Palästina mehr als eine Art Bantustan – geschweige denn ein lebensfähiger Staat – herausspringen würde und weigert sich standhaft, an den Verhandlungstisch zurückzukehren ohne dass Israel den Siedlungsbau einstellt.
In dieser scheinbar ausweglosen Situation ist eine Unterstützung der palästinensischen Bemühungen für internationale Anerkennung eine der wenigen verbleibenden Möglichkeiten, die Perspektive einer Zweistaatenlösung am Leben zu erhalten. Da ist es sekundär, ob dies nun vor der UNESCO oder in der UNO-Generalversammlung geschieht. Die Schweiz soll daher dem Beispiel Norwegens, Finnlands, Österreichs und anderer Europäischer Staaten folgen und überzeugt für eine stärkere internationale Anerkennung Palästinas einstehen – alles andere wäre ein Armutszeugnis für die Schweizer Aussenpolitik.
Andreas Graf, lic. rel. int. IHEID & M.P.S. IFSH, forscht in den Bereichen Konflikttransformation und internationale Sicherheitspolitik. Er ist Koordinator der Themen- und Arbeitsgruppen des foraus.
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