Bush in Handschellen: Hätte der ehemalige US-Präsident in Genf verhaftet werden müssen?

Völkerrecht

Von Antoine Schnegg – Müsste die Schweiz die Folter-Vorwürfe gegen Bush untersuchen, wenn dieser in die Schweiz käme? Die Frage ist weit weniger klar, als die Behörden glauben machen.

Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen fordern eine Untersuchung zu möglichen Verbrechen während der militärischen Aktivitäten der USA im Kampf gegen den Terror. Insbesondere sollen die Vorwürfe untersucht werden, George W. Bush habe persönlich Folter angeordnet. Im Falle, dass der ehemalige Präsident am Samstag nach Genf gekommen wäre, hätte sich ganz konkret die Frage gestellt, ob es für die Schweiz eine Möglichkeit oder gar eine internationale Verpflichtung gegeben hätte, eine Untersuchung gegen ihn einzuleiten oder ihn an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag auszuliefern.

Die Forderung der Zivilgesellschaft nach einer Untersuchung wurde medial etwas belächelt, doch die Forderung ist mit gutem Recht erhoben worden. Am 25. Januar hat der Chefankläger des IStGH, Luis Moreno-Ocampo zum Beispiel eine mögliche Untersuchungen zum Konflikt auf der Koreanischen Halbinsel angekündigt. Den Anstoss zu den Ermittlungen gaben Südkoreanische Studenten. Dies zeigt, wie wichtig inzwischen die Rolle der Zivilgesellschaft in der Bewältigung von schweren internationalen Verbrechen ist.

Kein internationaler Haftbefehl

Doch der Internationale Strafgerichtshof scheidet im vorliegenden Fall als zuständige Instanz von Vorneherein aus, denn dieser hat gegen George W. Bush keinen Haftbefehl erlassen. Hierzu bestand auch keine Berechtigung, da die Gerichtsbarkeit des IStGH gemäss Art. 12 und 13 des Römer Status – dem Gründungsdokument des IStGH – nur dann gegeben ist, wenn der Verfolgte die Nationalität eines Vertragsstaats des Römer Statuts besitzt, wenn das untersuchte Delikt auf dem Territorium eines Vertragsstaats verübt wurde oder wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine solche Untersuchung anordnet (was dieser im Fall des Sudanesischen Präsidenten Omar Al-Bashir gemacht hat; siehe hierzu Resolution des Sicherheitsrat 1593).

Die Schweiz hat ihre Gesetze angepasst

Doch nebst einer Auslieferung wäre auch eine Aburteilung hier in der Schweiz in Frage gekommen. Genau für den hier vorliegenden Fall, dass eine Person in die Schweiz kommt, die schweren Menschenrechtsverletzungen verdächtigt wird und nicht an ein anderes Land oder an ein internationales Gericht ausgeliefert werden kann, hat die Schweiz auf den 1. Januar dieses Jahres ihr Strafgesetzbuch angepasst. Die Gesetzesänderung (die der Umsetzung des Römerstatutes auf nationaler Ebene dient), schreibt für die Zukunft vor, in Fällen wie dem abgeblasenen Bush-Besuch eine Strafverfolgung in der Schweiz einzuleiten. Da die Gesetzesänderung aber nicht auf die Zeit zurückwirkt, in der George W. Bush Folterungen angeordnet hat, hätte er auch auf Grundlage des Strafgesetzbuches nicht festgesetzt werden können.

Als letzte Möglichkeit der Schweiz, gegen George W. Bush vorzugehen stellte sich noch die Frage, ob nicht die Antifolterkonvention der UNO eine direkte Strafbarkeit von George W. Bush begründen könnte (Die Konvention wird auch vom IStGH gemäss Art. 21 des Römer Statuts als Quelle des Völkerstrafrechts behandelt).

Alle müssen das Folterverbot durchsetzen

Das Verbot der Folter gehört zum zwingenden Völkerrecht. Nebst der Antifolterkonvention ist es noch in anderen internationalen Konventionen enthalten (zum Beispiel in den Genfer Konventionen oder der Europäischen Menschenrechtskonvention). Die Antifolterkonvention geht jedoch einen Schritt weiter als diese Konventionen. In Art. 7 schreibt sie das sog. aut dedere aut judicare“ Prinzip vor. Dies bedeutet, dass die Vertragsparteien Verdächtige an eine verfolgende Behörde ausliefern müssen oder – falls dies nicht möglich ist – eine Untersuchung gegen den Verdächtigen einleiten müssen. Dieses Prinzip ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und dessen Missachtung kann ebenfalls als Verletzung der Antifolterkonvention betrachtet werden. George W. Bush kann nicht an den IStGH ausgeliefert werden. Somit hätten die Schweizer Behörden nicht nur die Möglichkeit gehabt, eine Strafuntersuchung einzuleiten, sondern die Pflicht.

Da George W. Bush ein ehemaliger Staatschef ist, stellt sich die Frage, ob dieser vor Strafverfolgung für Verbrechen im Zusammenhange mit seinem Amt Immunität geniesst (die sogenannte funktionelle Immunität). In einer ersten Reaktion hat das EJPD den Eindruck erweckt, es gebe keinen Zweifel darüber, dass diese Immunität noch bestehe. Damit macht es sich das EJPD etwas gar einfach. So klar ist die Situation nicht.

Das Konzept der funktionellen Immunität ist im Verhältnis zu internationalen Verbrechen höchst umstritten. Bis zu einem gewissen Grad ist das Völkerrecht hier widersprüchlich. Auf der einen Seite schreibt die UNO-Antifolterkonvention die obligatorische Verfolgung eines Verbrechens vor. Auf der anderen Seite wird diese Verfolgung durch Immunität vereitelt. Die Lösung liegt in einem modernen Immunitäts-Begriff, der dem Bedürfnis, schwere internationale Verbrechen zu bestrafen Rechnung trägt und Amtsträger daher nur so lange vor Verfolgung schützt, als sie das Amt auch ausüben. Spätestens seit der Pinochet Entscheidung vor dem Britischen House of Lords (bis 2009 das höchste Britische Gericht) ist klar, dass Folter ein so schweres Verbrechen ist, dass die funktionelle Immunität eine Strafverfolgung nicht verhindern kann.

Wird hingegen das althergebrachte starre Verständnis der Immunität einfach aufrecht erhalten, so gefährdet dies die Fortschritte im Völkerstrafrecht der letzten 10 Jahre, die darauf abzielen, schwerste Verbrechen gegen die internationale Wertegemeinschaft konsequent zu bestrafen.

Die Schweiz muss Farbe bekennen

Als eine der Erstunterzeichnerinnen des Römer Statuts und als Land mit einer langen humanitären Tradition hätte die Schweiz ein Zeichen setzen müssen gegen ein orthodoxes Verständnis der Immunität.

Schliesslich hat die Schweiz auch auf anderer Ebene zur Bewältigung des dunklen Kapitels in der Aussenpolitik der USA beigetragen und hat Insassen aus Guantanamo aufgenommen. Die Schweiz hätte Barack Obama auch daran erinnern müssen, dass er eine Untersuchung gegen seinen Amtsvorgänger angekündigt hatte. Ferner muss sich die Schweiz für einen stärkeren IStGH einsetzen, zu dessen Partnern dereinst auch die USA zählt.

Es ist zu bedauern, dass George W. Bush nicht ins Hotel Wilson nach Genf gekommen ist (ironischerweise benannt nach einem seiner Amtsvorgänger, welcher als Vater des Völkerbundes und als Förderer der friedlichen Diplomatie in die Geschichte eingegangen ist). Es hätte für die Zivilgesellschaft eine Gelegenheit sein können zu zeigen, dass es für Folterer nach ihrer Amtszeit keine Sicherheit vor Verfolgung gibt. Und die offizielle Schweiz hätte Farbe bekennen müssen.

Antoine Schnegg lebt in den Niederlanden. Er ist Jurist und spezialisiert sich momentan im Fachbereich Völkerrecht mit besonderem Schwerpunkt auf Völkerstrafrecht. Antoine Schnegg ist ein Gründungsmitglied von foraus und hat bis zu seinem Wegzug aus der Schweiz die Arbeitsgruppe Internationale Organisationen geleitet.

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