Die internationale Ordnung verändert sich: Bisherige Grossmächte ziehen sich zurück und neue Akteure rücken nach. Vor allem China wird immer aktiver auf der internationalen Bühne. Für die weltweit vernetzte Volkswirtschaft Schweiz ist eine stabile multilaterale Ordnung wichtig. Wir müssen daher darüber reden, wie wir uns zukünftig in Bezug auf China positionieren wollen. Denn nur mit einer klaren Vision sind wir für die kommenden Zeiten gerüstet.
Obwohl die internationale Staatengemeinschaft auch im neuen Jahr vor grossen Herausforderungen steht, distanzieren sich die USA zunehmend vom multilateralen System. In die entstehende Lücke stossen neue Akteure vor. Darunter auch China, das aussenpolitisch lange bemüht war, unter dem Radar der internationalen Gemeinschaft zu fliegen. Diese Strategie hatte der ehemalige Führer der Volksrepublik, Deng Xiaoping, mit seiner Maxime «Hide Your Strength, Bide Your Time» vorgegeben. Aber die Zeit des Abwartens scheint nun vorbei.
So hat sich Peking beispielsweise jahrzehntelang gegen UN Friedensmissionen ausgesprochen. Nun wird die chinesische Beteiligung massiv aufgestockt: 1990 hatte China lediglich fünf Soldaten für Friedensmissionen gestellt – 2015 waren es 3’084. Auch finanziell hat Peking seine Beiträge für das Friedensförderungsbudget der UN von 6.6% (2016) auf 10.3 % (2018) erhöht. Dieses Engagement ist erfreulich, vor allem in einer Zeit, in der die USA ihre Unterstützung zurückfährt. Und während sich die USA für den Austritt aus dem UN Menschenrechtsrat entschied, fällt China durch sein Engagement auf: Im März 2018 verabschiedete der Rat bereits die zweite von China initiierte Resolution innert neun Monaten. Ausserdem fördert China weltweit die Erschliessung neuer Handelskorridore durch seine Belt and Road Initiative (BRI) und vergibt dabei auch Kredite an finanzschwache Länder, die von westlichen Finanzinstituten kaum Beiträge erwarten können.
Alles schön und gut?
Nicht unbedingt, denn es gibt auch eine Kehrseite. So stellt laut der Denkfabrik CSIS das Engagement in der UN Friedensförderung für China eine kostengünstige Gelegenheit dar, die Herausforderungen einer militärischen Auslandpräsenz zu testen. Interessant ist auch, dass Peking bisher nur Friedenstruppen in Länder entsandte, in denen es zuvor hohe Investitionen getätigt hatte oder die geostrategisch relevant sind (zBsp. Südsudan oder Mali). Und die Resolutionen, die China in den UN Menschenrechtsrat einbrachte, wurden von westlichen Staaten und Menschenrechtsorganisationen kritisiert: China wolle so eigene Konzepte wie «win-win cooperation» oder «mutual benefit» global verankern. Valentin Zellweger, Schweizerischer Botschafter zur UN, warnte, die «zuerst harmlos und harmonisch klingenden Formulierungen könnten zu einer Verwässerung des Instrumentariums des Menschenrechtsrates führen». Langfristig könnte China die UN dazu nutzen, seine Weltvorstellung global zu verankern. China weist diese Kritik zurück und präsentiert sich als Sprecher nichtwestlicher Länder, die sich gegen eine westliche Interpretationshoheit bezüglich Menschenrechten wehren.
Auch die chinesischen Kredite können sich als Herausforderung für die internationale Gemeinschaft erweisen: So geschehen in Pakistan, wo China Geld für ambitionierte Grossprojekte zur Verfügung stellte. Weil Islamabad seine Schulden nicht zurückzuzahlen vermochte, musste der IWF für Unterstützung angefragt werden. Somit wird dieser möglicherweise für die chinesischen Kredite plus Zinsen aufkommen.
China versteht es auch, sich über finanzielle Anreize die Gunst anderer Länder zu sichern. So hat bei der periodischen Überprüfung der UN zur Lage der Menschenrechte in China kein muslimisches Land kritisiert, wie China gegen die muslimische Minderheit der Uiguren vorgeht. Und Griechenland, das in den letzten Jahren erhebliche chinesische Investitionen angezogen hatte, verhinderte mit seinem Veto eine Verurteilung der Menschenrechtslage in China durch die EU.
Die Schweiz braucht eine substanziellere China-Politik
Als bevölkerungsreichstes Land und zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt steht es China zu, die globale Ordnung mitzugestalten. Aber das zunehmende Engagement Chinas fällt just in eine Zeit, in der sich die USA aus dem multilateralen System zurückziehen. Diese Krise des Multilateralismus kann zu einer Erosion der internationalen Ordnung führen. Gerade für kleine Länder wie die Schweiz sind multilaterale Institutionen zentral, um sich international Gehör zu verschaffen. Zudem ist die stark vernetzte schweizerische Volkswirtschaft auf eine funktionierende internationale Rechtsordnung angewiesen. Aber während im Einparteienstaat China innen- wie aussenpolitisch klare Ziele formuliert werden, tüfteln wir noch immer an einer China-Strategie herum. Das hat kürzlich auch der Nationalrat Fabian Molina (SP) in einer Motion festgestellt. Die EU hatte bereits 2016 eine China-Strategie veröffentlicht. Wenn wir nicht bald nachziehen, werden wir in Zukunft immer defensiver auf ein ideenreiches China reagieren, statt proaktiv eigene Interessen und Visionen zu platzieren.
Das Asienprogramm von foraus hat kürzlich zwölf Handlungsfelder für die Schweizer China-Politik abgesteckt. Wichtig wäre eine bessere Vernetzung aller Akteure mit einem China-Bezug. So kann wertvolles Wissen zusammengetragen werden, um den Prozess der offiziellen Positionierung der Schweiz zu untermauern. Dafür müssen vorab entsprechende Ressourcen geschaffen werden, gerade für die Vertiefung der departementsübergreifenden Koordination in der Verwaltung. Ausserdem wird sich enge Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern auszahlen, wie kürzlich vom deutschen Aussenminister Heiko Maas gefordert. Ein solches Netzwerk muss auch innerhalb der multilateralen Gremien koordiniert werden. Und natürlich ist auch die Weiterführung eines regen Austausches mit Peking auf allen Ebenen der bilateralen Beziehungen zentral. Denn schliesslich bedeutet «Multilateralismus», dass unterschiedlichste Akteure zusammenarbeiten. Also machen wir uns gemeinsam daran, die multilaterale Ordnung konstruktiv zu verändern!
Image: Chinese President Xi Jinping