Anstatt über Bosnier, Albanerinnen, Iraker und Somalierinnen, sprechen wir kollektiv über Muslime. Menschen mit Wurzeln in der „islamischen Welt“ sind in unserer Wahrnehmung zuallererst muslimisch. Eine Reduktion, welche auf dem geistigen Erbe des Kolonialismus beruht und den Blick auf die muslimische Realität in der Schweiz verstellt.
Das Muslim-Sein ist ihnen sozusagen angeboren: Menschen, welche Wurzeln in der „islamischen Welt“ haben, sind in der öffentlichen Debatte zuallererst muslimisch. Wobei „Islamizität“ in diesem Sinne nicht eine kulturelle Prägung meint, wie etwa bei Schweizern christlicher Konfession. Denn wer würde behaupten wollen, dass jeder Schweizer Katholik, der an Weihnachten in die Kirche geht und als Kind Ostereier suchte, an die Jungfräulichkeit Marias glaubt? Nein, in der öffentlichen Meinung stellt der Islam für Muslime nicht nur ein kulturelles Erbe und Element sozialer Bindung an die Elterngeneration dar, Muslime sind essentiell muslimisch und damit essentiell anders.
Neokolonialistische Denkfehler
Diese zeitgenössische Debatte um Migration, „Muslime“ und Islam wiederholt Denkmuster, welche den kolonialen Diskurs über den Nahen Osten und Nordafrika charakterisierten: die Konstruktion der kolonialen Gebiete und Untertanen als essentiell religiös (was auch entwicklungsunfähig meinte) im Kontrast zum Westen als Ursprung von Zivilisation und Fortschritt. Dieser Diskurs wurde denn auch als Ausgeburt eines hegemonialen Machtverhältnisses im Dienste von Imperialismus und globalisiertem Kapitalismus kritisiert. Später Nachhall davon ist die Tatsache, dass in unseren Analysen aktueller Konflikte im Nahen Osten (siehe IS, Syrien und Jemen, um nur die grossen Schlagzeilen zu nennen) noch immer mit Vorliebe „religiöse“ und „konfessionelle Faktoren“ bemüht werden. Insbesondere ökonomische Hintergründe werden in der medialen Berichterstattung, in unseren politischen Analysen, ja sogar in der wissenschaftlichen Literatur allzu leicht von vereinfachenden Erklärungsmustern à la „clash of civilizations“ vernebelt.
Dialog unter Ungleichen
Wir reden heute über Muslime in der Schweiz, obwohl sich nur etwa 10 bis 15 Prozent der Schweizer Bürger muslimischer Konfession (laut amtlicher Zählung) als praktizierend beschreiben <Auftakt Miniblog>. Eine solche Reduktion mag uns Denkleistungen abnehmen, indem sie es uns erspart, uns mit historischen, demographischen, sozialen und ökonomischen Fragen der Immigration in die Schweiz auseinanderzusetzen. Dieses allzu vereinfachende Denkmuster verschleiert jedoch den Blick auf die muslimische Realität in der Schweiz und verunmöglicht eine sachliche Analyse von zu Recht Sorge bereitenden Vorkommnissen, wie Schweizer Jugendliche, die sich auf den Seiten des IS in einen bewaffneten Konflikt stürzen. Der Umgang mit dem Thema Muslime und Islam war und ist somit Ausdruck eines ungleichen Machtverhältnisses zwischen den Gesprächspartnern, mehr noch, Ausdruck für die Instrumentalisierung eines ungleichen Machtverhältnisses. Ein solcher Diskurs ist nicht integrationsförderlich. Noch ist das Dialog. Das Resultat? Wir fördern damit die Entfremdung von muslimischen Mitbürgern und stärken die Angstmacher und Aufhetzer in beiden Lagern.