Der Fall Asem: Über einen Abend in Bern, einen Frühling in Kairo und ein Todesurteil

Völkerrecht

Eine Jemenitin, eine Bahrainerin, eine Syrierin, eine Ägypterin, ein Tunesier und ein Libyer sitzen mit zehn Schweizer Jugendlichen am Tisch und diskutieren über die Welt, wie sie nach den arabischen Aufständen entstehen soll. Das war vor vier Jahren. Diese Woche wurde eine davon zum Tode verurteilt.

 

Mursi zum Tode verurteilt und Journalisten im Knast? Was soll’s, wird sich mancher sagen, dann wird al-Sisi nun mal in die Fussstapfen von Mubarak treten. Doch die Tragweite geht über das übliche Szenario hinaus. Denn was neben den Schlagzeilen über Mursi  vergessen geht: Nicht nur alte Galionsfiguren der Muslimbruderschaft wurden zum Tode oder zu langen Haftstrafen verurteilt, sondern auch viele andere Aktivisten. So zum Beispiel Sondos Asem, Absolventin der American University von Kairo (Journalismus & Massenkommunikation), die nach dem Studium innerhalb der Muslimbruderschaft zu einer Pressesprecherin der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei aufsteigt. Heute studiert sie in Oxford.

Wie’s dazu kam

Doch zurück zum Anfang: Ausgehend von kleineren Demos in verschiedenen Staaten entsteht in zahlreichen Staaten der arabischen Welt eine weitgreifende Revolte gegen die autoritären Regimes. Ursache: unbekannt. Aber es wird folgende Formel vermutet: Nahrungsmittelkrise + Unzufriedenheit + Neue Medien = Auslöser.

Die europäischen Staaten – aus wirtschaftlichen und migrationspolitischen Überlegungen gehören die meisten bisher zu Unterstützern der Regimes – satteln um und versuchen, zu vermitteln. Auch in Bern wird man aktiv und das EDA bekommt endlich grössere Mittel, um die demokratische Transition zu fördern. Ein kleiner Teil davon ist dient dazu, Schweizer Jungpolitiker und Aktivisten aus verschiedenen Staaten zusammenzubringen.

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Hoffnung, 2011: Arabische Aktivisten in Bern. (Quelle: Facebook)

Ein Abend in Bern

Also sitzen an jenem Oktoberabend 2011 junge Menschen aller Parteicouleur, mit den Aktivisten zusammen im Hotel Bern. Darunter auch Sondos Asem und ich. Wir speisen fürstlich und unterhalten uns über Demokratie, die Schweiz, die arabischen Staaten, Pressefreiheit, die Zukunft. Nach dem Abend konnten alle sicher sein: Was in diesem Frühjahr 2011 geschah, kann nicht rückgängig gemacht werden. Hierfür haben diese jungen Menschen zu viel erreicht. Der Stachel der Freiheit steckt in den Gesellschaften fest.

Seither ist viel passiert, aber wenig bis nichts hat sich erfüllt. Mehr noch: Der demokratische Prozess in den Länder ist ins Stocken geraten oder gar erstickt: Der Jemen und Syrien liegen durch einen Bürgerkrieg mit ausländischen Interventionen in Trümmern. Bahrain wiederum ist höchstens noch in den Medien, wenn Männer mit 200 kmH im Kreis herum fahren; Libyen zerfällt. Einzig Tunesien scheint zur Zeit die Chancen auf eine demokratische Zukunft einlösen zu können.

Der Fall Asem

Und Ägypten? Es geht den Kindern der Revolution an den Kragen. Auch Sondos Asem. Ein Gericht in Kairo hat gestern das Todesurteil gegen die junge Frau bestätigt, wie sie über ihre Facebook-Seite bekannt gab. Sie sei nicht überrascht, schreibt sie dort. Vier Jahre nachdem die junge Frau in Bern über Demokratie, den arabischen Frühling und die Zukunft diskutiert hat, scheint der Weg zu Ende. Mag sein, dass das Urteil nicht vollstreckt wird und sie im Gegensatz zu vielen anderen nicht mal in einer ägyptischen Zelle schmoren muss. Doch bereits dies ist zu viel.

Bern muss sich darum einschalten und sich gegen die willkürliche Justiz in Ägypten stellen und unschuldig Verurteilte unterstützen. Denn nicht nur in Zeiten des arabischen Frühlings gilt es, sich für Demokratie und Freiheit einzusetzen, sondern auch in dessen tiefsten Winter. Alles andere wäre nicht nur ein schlechtes Zeichen für das Demokratieverständnis in Ägypten, sondern auch dasjenige in der Schweiz.