Von Stefan Schlegel – Darf sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen, wer durch seine Meinung die Aussenbeziehungen des Landes gefährdet oder gar die Sicherheit von Menschen? – Ja. Der Schutz der Grundrechte ist dort am nötigsten, wo ihre Ausübung mit Gewalt bedroht wird.
The most stringent protection of free speech would not protect a man falsely shouting fire in a theatre and causing a panic. […] The question in every case is whether the words […] are of such a nature as to create a clear and present danger that they will bring about the substantive evils that Congress has a right to prevent.“
Oliver Wendell Holmes Jr. in: Schenck vs. United States, 1919
Ulrich Gut hat zu den Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem Mohammed-Filmchen und den darauf hin veröffentlichten Satiren über den Propheten eine private Stellungnahme publiziert, die mich nachdenklich gestimmt und zu einer Entgegnung bewogen hat.
Problematisch sind an der Stellungsnahme drei Dinge. Erstens suggeriert sie, es sei eine eigenmächtige Störung der demokratisch festgelegten Aussenpolitik, durch private Äusserung die Beziehung zu anderen Staaten zu trüben oder zu erschweren (I). Zweitens wirft sie Islam-Satiren vor, die „friedliche Koexistenz mit der islamischen Welt“ zu gefährden (II) und drittens sagt sie, wer durch seine Meinungsäusserung gewalttätige Reaktionen provoziere, habe nicht das Recht „sich hinter dem Grundrechtsdiskurs zu verschanzen“ sondern müsse sich dafür rechtfertigen, „die Gesetze des Handelns“ eigenmächtig an sich gezogen zu haben (III).
Störgeräusche inklusive
I.) Dürfen Private durch Äusserung ihrer Ansicht die Beziehungen des Landes zu anderen Staaten gefährden? – Natürlich. Die Aussenpolitik – auch die demokratisch beschlossene – bindet den Staat, nicht Privatpersonen. Niemand muss deswegen seine Meinung für sich behalten. Viele Ansichten können negative Effekte auf die Aussenbeziehungen haben. Wer für ein freies Tibet eintritt, erschwert möglicherweise die Verhandlungen mit China über ein Freihandelsabkommen. Diese Meinung deswegen zu verbieten oder ihr nur schon Eigenmacht gegenüber der Aussenpolitik vorzuwerfen, liefe auf eine Implosion der Meinungsfreiheit hinaus. Unsere Aussenbeziehungen müssen so gestaltet werden, dass sie jederzeit auch Störgeräusche aus dem eigenen Land vertragen. Das ist eine der Herausforderungen einer freiheitlichen Ordnung.
Kein Recht auf Empfindlichkeit
II.) Eine seltsame Umdrehung der Rollen besteht darin, Satirikern den Vorwurf zu machen, sie gefährdeten die friedliche Koexistenz mit der „islamischen Welt“. Das ist etwa so, als würde dem türkischen Kulturverein von Wangen die Schuld am Minarett-Verbot gegeben, weil er nicht genügend Rücksicht genommen habe auf die kulturalistische Dünnhäutigkeit der örtlichen Biedermänner.
Die freie Meinung kann unmöglich geschützt werden, wenn sie überall dort rechtfertigungsbedürftig wird, wo die Gegner der geäusserten Meinung bereit sind, mit Gewalt zu drohen oder eine besondere Schutzbedürftigkeit für ihre Gefühle in Anspruch nehmen, weil diese angeblich heiliger sind, als die Gefühle anderer.
Eine vernünftige Faustregel ist: Je empfindlicher jemand auf satirische Kritik reagiert und je eher er bereit ist, diese mit Gewalt zu bedrohen, desto nötiger ist es, ihn mit den Mitteln der Satire der Lächerlichkeit preiszugeben. Satire darf nicht nur alles, sie sollte auch dort zubeissen, wo die gröbsten Anmassungen blossgestellt werden können. Zu diesen Anmassungen gehört auch der Glaube, die friedliche Koexistenz stören zu dürfen, indem kollektive Vergeltung geübt wird für die Wahrnehmung eines Freiheitsrechts.
Brandstifterin ist nicht die Satire – auch wenn sie gefährlich ist. Zwischen jenen, die Worte und Bilder zur Waffe haben und jenen die Feuer legen, liegt der entscheidende Unterschied zwischen legitimem Gebrauch der eigenen Freiheit und Bruch des Friedens.
Bedrohte Freiheit braucht besonderen Schutz
III.) Damit wird offensichtlich, wie gefährlich die Ansicht ist, wer durch die Wahrnehmung seiner Grundrechte eine Gefahr schaffe, der dürfe sich nicht „hinter dem Grundrechtsdiskurs verschanzen“. Die Wahrnehmung von Grundrechten ist immer ein Stress für den Staat. Wer seine Versammlungsfreiheit wahrnimmt, schafft die Gefahr von Tumulten. Wer seine Wirtschaftsfreiheit wahrnimmt, schafft die Gefahr von Fehlentwicklungen auf dem Markt. Wer auf sein Recht, die Aussage zu verweigern pocht, erschwert die Strafverfolgung. Gerade wer durch die Wahrnehmung seiner Freiheit eine Gefahr schafft, muss sich auf seine Grundrechte berufen dürfen. Harmlose Tätigkeiten brauchen den Schutz des Rechts nicht.
Dieses Prinzip hat aber Grenzen: Wo durch die Verhinderung einer Publikation Leben gerettet werden könnten, wäre die Einschränkung der Grundrechte legitim. Aber im 21. Jahrhundert sind Publikationsverbote ein untaugliches Mittel. Jedes Machwerk wird seinen Weg ins Internet finden und dort von den Verächtern der freiheitlichen Ordnung begierig aufgenommen werden um ihre Gewaltbereitschaft zu rechtfertigen. Wir müssen daher unsere Beziehungen zur „islamischen Welt“ so robust bauen, dass sie Satire ertragen. Und wir müssen die Rolle des Friedensstörers denen zuweisen, die Feuer legen, nicht denen, die „Feuer!“ rufen. Denn woher wissen wir, ob ihr Feueralarm falsch ist?
Stefan Schlegel wohnt in Bern. Er ist Jurist und Gründungsmitglied von foraus – Forum Aussenpolitik. Er leitet die Arbeitsgruppe Migration und ist Mitglied der Redaktion des foraus-Blog.
Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.