DIE VERSTUMMENDE STIMME DES LIBERALISMUS

Diplomatie & internationale Akteure

Von Philippe Lorenz – Mit dem kläglichen Scheitern der FDP beklagt die deutsche Öffentlichkeit zugleich auch das Verschwinden des Liberalismus. Doch der Liberale hat sich schon vor längerem selbst begraben. Die Schweizer Schwesterpartei sei gewarnt.

Die heutige FDP steht so wenig für Liberalismus, wie Angela Merkel für Experimente. Der Liberale propagiert Chancengerechtigkeit, Wettbewerb und einen fernen Staat, dessen Hauptaugenmerk auf der Verteidigung der Bürgerrechte liegt – der Kontrast zur Politik der FDP der letzten Jahre könnte nicht grösser sein. Mit Aberwitz (Westerwelles Besuch im Big Brother Container), Grössenwahn (Projekt 18 Prozent) und Klientelismus (reduzierter Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie) gab sie sich der Lächerlichkeit preis. Der Flirt mit dem Mindestlohn und die Unfähigkeit, sich gegenüber dem Koalitionspartner zu behaupten, gaben ihr schliesslich endgültig den Rest. Wahlen werden in der Mitte gewonnen, aber nicht von der FDP. Ihre Wähler von 2009 liefen zurück zu Mutti – oder in die Arme der AfD.

Im Ruhestand

Liberale Themen gäbe es nach wie vor genügend: Im Rahmen der NSA-Affäre zeigte sich erneut, dass Staaten nach wie vor nach Informationen gieren. Dass Geheimdienste wie die NSA oder das GCHQ dem Bürger auch in die digitale Welt folgen, ist nur konsequent. Dass sie hingegen auch ohne Rechtsgrundlage schnüffeln, ist im höchsten Masse beunruhigend. Die häufig verlangte, lückenlose Video-Überwachung des städtischen Innenraums ist ein weiteres Beispiel eines ausufernden Staatsinterventionismus.

Wo war hier die FDP? Die Verfechterin des Liberalismus? Die Anwältin der Freiheit? Abwesend. Die Anwältin wurde in den Ruhestand geschickt. Chance verpasst.

Nichts mehr zu sagen: Die FDP hat den Liberalismus zum verstummen gebracht.

Und die Schweiz?

Nach der herben Wahlschlappe der Schweizer FDP vor zwei Jahren sollte ein Neuanfang her. Davon ist wenig zu sehen: Auch in der Schweiz fehlt eine breit abgestützte, konsequente liberaldemokratische Stimme. Auch die Schweizer FDP hat mit dem Ruf einer Lobbypartei zu kämpfen. Auch sie entfernt sich von liberalen Gedankengütern. FDP-Generalsekretär Stefan Brupbacher sieht dies freilich anders, sieht seine Partei als „liberales Gewissen der Schweiz“.Ihre Position beim automatischen Informationsaustausch ist jedoch mittlerweile deckungsgleich zu derjenigen von Eveline Widmer-Schlumpf. Beim Gripen wurde zuerst gepoltert und dann angepasst. In Gleichberechtigungsfragen die eigene Frauensektion desavouiert. Zugleich schreitet die Anbiederung an die SVP und reaktionäre Themen voran. DerSmartspider von Präsident Philipp Müller zeigt: „Law and Order“ und „restriktive Migrationspolitik“ schlagen aus, während „liberale Gesellschaftspolitik“ klein gehalten wird. Der letzte Abstimmungserfolg bei der Liberalisierung der Tankstellenshops ist da ein schwacher Trost.

Die Mehrheit in einer Demokratie ist stets konservativ oder sozialdemokratisch. Freiheitliche Parteien haben in diesem Kontext zwei Handlungsmöglichkeiten: Sie können rechts und links auf Brautschau gehen oder sich entschieden auf eine liberale Politik konzentrieren. Letzteres schärft das eigene Profil und verschafft Gewicht in der Regierungsbeteiligung. Ohne die entschiedene Vertretung liberaldemokratischer Werte wird weiterhin ein apolitisches Klima vorherrschen, bei stetiger Zunahme staatlicher Regelungswut. Der Bürger scheint momentan die Umarmung des Staates zu erwidern, begibt sich dadurch jedoch freiwillig in einen Schwitzkasten. Und die FDP schaut zu. Am Ende steht da der unmündige Bürger, unfähig, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Ein Mitläufer und blosser Untertan nun, aber eben kein sich selbst gewahrer Citoyen mehr. Leider.

 

Philippe Lorenz (28), studiert Internationale Beziehungen und lebt in der Nähe von Düsseldorf. Er arbeitet derzeit in der Geschäftsstelle von foraus.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.