Von Alexander Spring – Nach der zustande gekommenen Volksinitiative “Staatsverträge vors Volk!”, soll sich die neue AUNS-Initiative um die „Verankerung des Kerninhalts der immerwährenden, bewaffneten Neutralität in der Bundesverfassung“ drehen. Dies ist ein verzweifelter Versuch, sich an einem Mythos festzuklammern.
Am 30. April 2011 ermächtigte die Delegiertenversammlung der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) ihren Vorstand zur Ausarbeitung einer neuen Volksinitiative, welche die Neutralität der Schweiz in der Bundesverfassung besser verankern soll. Die Initiative wird auf Grund des Eindruckes lanciert, dass „sich der Bundesrat systematisch und vorsätzlich von einer glaubwürdigen Neutralitätspolitik verabschiedet hat“ (AUNS-Präsident Pirmin Schwander). Es müsse quasi eine schleichende „Entneutralisierung“ gestoppt und verhindert werden.
Ein hybrides Institut
Der definitive Wortlaut der Initiative ist noch nicht bekannt. Den Delegierten wurden drei Varianten vorgelegt. Die am weitest gehende Variante, welche den politischen Zielen der AUNS am meisten entspricht, lautet wie folgt:
Artikel 54a (neu) Neutralität
Die Schweiz ist neutral. Sie beteiligt sich nicht an militärischen und sicherheitspolitischen Bündnissen. Sie nimmt weder an Kriegen zwischen anderen Staaten teil noch leistet sie Unterstützung für militärische Zwangsmassnahmen. Die Armee leistet internationale Einsätze ausschliesslich im Rahmen der humanitären Hilfe und der Katastrophenhilfe. Die Einsätze können zum Selbstschutz bewaffnet erfolgen.
Doch brauchen wir wirklich eine zusätzliche und weitergehende Verankerung der Neutralität in der Verfassung? Die schweizerische Neutralität ist schon heute ein hybrides Institut, welches sowohl im Völkerrecht, als auch in der Verfassung seine rechtlichen Grundlagen findet. Auf internationaler Ebene gilt die schweizerische Neutralität als Völkergewohnheitsrecht und auf nationaler Ebene sind es Art. 173 Abs. 1 lit. a und 185 Abs. 1 der BV, welche die Wahrung der Neutralität als Aufgabe von Bundesrat und Parlament bezeichnen. Eine definitive Abkehr von der Neutralität ist zwar völkerrechtlich nur durch das Element „der Verbotenen Aufgabe zu Unzeiten“ beschränkt, innerstaatlich bräuchte jedoch eine Beendung der dauernden Neutralität schon heute eine formelle Verfassungsänderung. Eine definitive Abkehr von der schweizerischen Neutralität, wie sie die AUNS befürchtet, ist ohne Verfassungsänderung nicht möglich.
Aussenpolitisches Korsett
Jedoch ist es wahr, dass der Bundesrat bei der Festlegung der Neutralitätspolitik einen erheblichen Spielraum besitzt. Dies sollte auch so sein und bleiben. Die Neutralitätsinitiative der AUNS wäre ein unnötiges aussenpolitisches Korsett. Die Neutralität war verfassungsrechtlich nie als Staatsziel oder Ziel der Aussenpolitik definiert. Sie war immer ein Mittel zum Zweck, welches den äusseren und inneren Gegebenheiten angepasst werden soll. Solche externe und interne neutralitätsrelevante Verschiebungen hat es seit der Aufnahme der Neutralität in die erste Verfassung von 1848 zuhauf gegeben. Unsere Auffassung über Staaten, Souveränität, Krieg und Aussenpolitik, um nur einige neutralitätsrelevante Begriffe zu nennen, haben sich seit dem 19. Jahrhundert grundlegend verändert.
Die von Alois Riklin formulierten sieben Funktionen der Neutralität (Integrations-, Friedens-, Unabhängigkeits-, Schutz-, Freihandels-, Gleichgewichts- und Dienstleistungsfunktion) sind heute alle auf ein Minimum geschrumpft oder komplett obsolet geworden. Die traditionell permanenten und faktisch neutralen Staaten in Europa (Österreich, Irland, Finnland und Schweden) haben dies spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges bemerkt und haben ihre Neutralität sukzessive aufgegeben oder umgedeutet.
Reduktion auf den militärischen Kern
Zudem ergeben sich immer mehr völkerrechtliche Problemfelder rund um die Neutralität. Das Neutralitätsrecht wurde letztmals 1907 in den Haager Abkommen kodifiziert und nur durch Völkergewohnheitsrecht weiterentwickelt, welches die Schweiz als einer der wenigen permanent neutralen Staaten weitgehend selber mitbestimmen konnte. Der Neutralitätsfall, wo die Rechte und Pflichten eines neutralen Staates währende eines zwischenstaatlichen „Krieges“ aktualisiert werden, trifft heute nur noch äusserst selten ein. Das Neutralitätsrecht ist zudem nicht anwendbar bei Bürgerkriegen und beim Vorliegen eines UNO-Mandates. Eine Reduktion der schweizerischen Neutralität auf ihren militärischen Kerngehalt, wie sie vom Bundesrat verfolgt wird, macht daher durchaus Sinn.
Was zum heutigen Zeitpunkt von der Neutralität neben den genannten Irrungen und Wirrungen übrig bleibt, ist der Mythos und ein solcher sollte nicht zusätzlich in der Verfassung zementiert werden. Dennoch hat die angekündigte AUNS-Initiative den positiven Effekt, dass im sich abzeichnenden Abstimmungskampf die Entmystifizierung der Neutralität wieder einmal als Thema angegangen werden kann und muss.
Alexander Spring ist Assistent und Doktorand an der Universität Bern im Bereich Völkerrecht und Menschenrechte. Er leitet die foraus-AG Menschenrechte und humanitäre Politik.
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