Von Andrea Jud – Mitglieder der syrischen Opposition trafen sich mit Schweizer Finanzierung in Berlin. Ist es klug von der Schweiz, sich auf eine doppelte Syrien-Politik einzulassen?
Letzte Woche wurde bekannt, dass sich syrische Oppositionelle über sechs Monate hinweg in Berlin trafen, um sich auf die Zeit nach einem Sturz Assads vorzubereiten. Nun wurde bestätigt, dass auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ca. 50´000 Euro zur Kostendeckung der Treffen beisteuerte. Organisiert wurden die Treffen vom amerikanischen Institut für Frieden (USIP) und der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Beide Institutionen sind staatlich finanziert, betonen jedoch, dass die amerikanische und die deutsche Regierung bloss finanzielle und logistische Unterstützung für die Treffen boten. Die geheimen Treffen unter dem Namen „The Day After“ sollten einen Beitrag zu einem geordneten politischen Übergang in Syrien leisten. Besprochen wurden Reformen der Wirtschaft, des Staats- und Sicherheitsapparats sowie die zukünftige Verfassung.
Wirtschafts- und Justizexperten nahmen ebenso teil wie Ex-Militärs und Vertreter der bewaffneten Oppositionsgruppe Freie Syrische Armee. Die Vermittler der Treffen betonen, dass Teilnehmer und Agenda von syrischen Oppositionsgruppen wie dem Syrischen Nationalrat selbst bestimmt wurden. Die Treffen seien geheim gehalten worden, um eine freie Debatte zu ermöglichen.
Internationales Doppelspiel
Durch die Treffen wird die dopptelte Syrien-Politik der beteiligten Länder deutlich: Während in Berlin die Zeit nach dem Sturz Assads vorbereitet wurde, riefen Deutschland, die USA und die Schweiz offiziell zum Befolgen des als alternativlos dargestellten Annan-Plans auf, der einen Waffenstillstand und keinen Regierungswechsel vorsieht. Trotzdem erklärte das EDA laut Tages-Anzeiger, die Unterstützung der Treffen stünde im Einklang mit Bemühungen um einen politischen Transformationsprozess in Syrien.
Die Möglichkeit für verschiedene syrische Gruppen, sich über die Zukunft ihres Landes auszutauschen, ist nach Jahrzehnten ohne Meinungsfreiheit in Syrien äusserst wichtig. Gerade die Schweiz als sprachlich und konfessionell vielfältiges Land kann in diesem Bereich einen Beitrag leisten. Wie klug ist es jedoch, sich dafür auf eine doppelte Politik und auf die Bemühungen internationaler Grossmächte wie den USA einzulassen?
Es geht um Einfluss im Nahen Osten
Der Konflikt der Syrer um die Zukunft ihres Landes ist Schauplatz verschiedener internationaler Machtkämpfe. Die Türkei, Saudi-Arabien und Iran konkurrieren um regionalen Einfluss im Nahen Osten, während die globalen Ambitionen der USA denjenigen Russlands gegenüber stehen.
Hinter den offiziellen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um ein Ende der Gewalt in Syrien und um eine friedliche Einigung zwischen Assad und den Rebellen stand immer auch ein internationales Kräftemessen. Diese Machtkämpfe werden sich mit nahendem Ende der Herrschaft Assads in Konflikten um seine Nachfolge fortsetzen. Und sie werden auch anhand von verschiedenen Plänen zum politischen Übergang in Syrien ausgetragen werden.
Die militärische Konfrontation in Syrien hat inzwischen mit Aleppo die zweitgrösste Stadt erfasst. Damit gewinnen internationale Kräfte wie die Golfstaaten, die den bewaffneten Kampf gegen Assad unterstützen, an Einfluss. Die USA ihrerseits stehen nun unter Druck, den politischen Übergangsprozess zu dominieren, während Russland darauf hoffen muss, dass Vertreter des alten Regimes Einfluss behalten. Nimmt nun auch die Schweiz an diesem Machtkampf teil?
Andrea Jud, M.A., ist Politikwissenschaftlerin und Islamwissenschaftlerin und hat sechs Monate in Syrien gelebt. Sie ist Mitglied in der AG Menschenrechte, der AG Entwicklung und Zusammenarbeit und der AG Migration.
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