Ein georgischer (Alb)Traum?

Die Wahlen im südkaukasischen Land am 26. Oktober stellen einen weiteren Scheideweg für die Bewohner:innen Georgiens dar: Die mehrheitlich liberale und junge Bevölkerung präferiert eine stärkere Zuwendung zur Europäischen Union, die Regierungspartei orientiert sich hingegen mehr nach Russland.

Wahljahr

Das Superwahljahr 2024 geht am 26. Oktober in die nächste Runde: Die 3,7 Millionen Einwohner:innen Georgiens wählen ihr neues Parlament. Es steht einiges auf dem Spiel: Die Beziehung zu Russland, der Kandidatenstatus zum Beitritt zur Europäischen Union und die Sorge vor autoritären Entwicklungen und der Unabhängigkeit des Landes. Dramatis personae im Wahlkrimi sind die derzeitige Regierungspartei «Georgischer Traum – Demokratisches Georgien» um Oligarch und de facto Parteiführer Bidsina Iwanischwili, die liberale Vereinte Nationale Bewegung «Natsebi», welche aus den Überresten der ehemaligen Regierungspartei von Micheil Saakaschwili besteht, sowie weitere oppositionelle liberale Bündnisse und Parteien, die sich in den letzten Monaten zusammengeschlossen haben, um eine grössere Chance auf Stimmen zu haben.

Was steht für Georgien auf dem Spiel?

Die Wahlen in Georgien finden vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden politischen Polarisierung statt. Denn die Nachrichten über Georgien waren seit April 2023 vor allem durch ein Thema geprägt: Das umstrittene «Auslands-Agenten-Gesetz» nach russischem Vorbild, wonach Medien und Nichtregierungsorganisationen als «ausländische Agenten» deklariert und in ihrer Arbeit eingeschränkt werden können. Im Mai 2024 forcierte die Regierung um Premierminister Irakli Kobachidse trotz andauernder Proteste mit zeitweise 200’000 Menschen eine Abstimmung im Parlament, wo das Gesetz Ende Mai trotz eines Vetos der Staatspräsidentin Salome Surabischwili verabschiedet wurde. Viele NGOs sehen sich nun in ihrer Existenz bedroht, denn sie sind häufig auf Gelder aus dem Ausland angewiesen und befürchten Einschnitte in ihrer Arbeit. Die junge, pro-westliche Bevölkerung in den Städten sieht das Agenten-Gesetz als eine Verschärfung von autokratischen Tendenzen und vermutet, Iwanischwili und seine Partei «Georgischer Traum» stecken mit Russland unter einer Decke.

Doch hat die liberale Opposition überhaupt eine Chance? Für viele ältere Georgier:innen sitzen die unangenehmen Erinnerungen der letzten Regierungsjahre von Micheil Saakaschwili vor dem Machtwechsel im Jahr 2012 noch tief. Saakaschwili, das Gesicht der unblutigen Rosenrevolution von 2003, fiel in seinen letzten Jahren als Präsident vor allem durch kontroverse Polizei-, Militär- und Justizreformen auf, die 2009 zu Protesten und schliesslich zu Saakaschwilis Abwahl führten. Fest steht: Trotz den Protesten der Bevölkerung in der ersten Jahreshälfte und der generellen Unzufriedenheit der Bürger:innen mit der Regierung wähnt sich «Georgischer Traum» zuversichtlich, denn die ständige Betonung von Unruhen, Krieg und dem Verlust «traditioneller orthodox-christlicher Werte» soll die Wähler:innen überzeugen, dass ein Machtwechsel Georgien ins Chaos führt.

Geopolitische Einflüsse & Auswirkungen

Die turbulenten innenpolitischen Entwicklungen stehen im Kontext internationaler Einflüsse, die die Wahl in Georgien massgeblich mitbestimmen. So wird der andauernde russische Angriffskrieg gegen die Ukraine von «Georgischer Traum» genutzt, um Angst und Unsicherheit zu schüren, wie etwa in einer grossangelegten Wahlplakat-Kampagne. Die protestierenden Georgier:innen werden mit dem Euromaidan verglichen, wer proeuropäisch sei, stehe für Krieg, so Iwanischwili.

Der Krieg in der benachbarten Ukraine scheint für die Regierungspartei ein Weckruf gewesen zu sein. Die dortigen Ereignisse erinnern an die blutigen Konflikte zu Beginn der 1990er-Jahre – aus denen die Abspaltung der abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien vom international anerkannten Staat Georgien resultierten – sowie an den Russisch-Georgischen Krieg von 2008. Seit 2022 versucht «Georgischer Traum» daher, die Rolle Georgiens zwischen Russland und der EU vorsichtig auszutarieren, um zu vermeiden, dass aus dem Land eine zweite Ukraine wird. Auf der einen Seite also Annäherung an Russland und autoritäre Entwicklungen («Auslands-Agenten-Gesetz»), auf der anderen die von der Bevölkerung favorisierte EU-Integration und Anbindung an die NATO.

Wenn es der Ukraine also gelingt, sich gegenüber Russland zu behaupten, dann hätte dies entsprechend auch Auswirkungen auf die anderen Länder in der Region und würde den Georgier:innen zeigen, dass es auch ohne Russland funktionieren kann. Je mehr die westlichen Staaten die Ukraine unterstützen, desto positiver wirkt sich dies somit auch auf Länder wie Georgien aus.

Und welche Rolle sollte die Schweiz einnehmen? Seit 2009 fungiert die Eidgenossenschaft als Schutzmacht für Georgien in Russland und umgekehrt, und geniesst so ein hohes Ansehen. Angesichts der zunehmenden autokratischen Tendenzen in Georgien sollte das Land auch weiterhin im Fokus des EDA stehen. Schliesslich ist die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein zentraler Bestandteil der aussenpolitischen Strategie der Schweiz.