„Hervorragende Beziehungen“: Die offizielle Schweiz hat Mühe mit der richtigen Distanz zu Husni Mubaraks Ägypten

Völkerrecht

Die ägyptische Demokratiebewegung erhält von Schweizer Aussenpolitikern wenig Unterstützung. Seit letztem Freitag hat die offizielle Schweiz keine Stellung mehr zu den Entwicklungen in Ägypten genommen. Zusehen ist nicht mehr genug. Der Zeitpunkt ist gekommen, dass schweizerische Wirtschaftsinteressen hinter das Engagement für Demokratie und Menschenrechten zurücktreten müssen. Auch im eigenen Interesse.

Die Schweiz unterhält seit über hundert Jahren enge, ja sogar traditionelle Beziehungen zu Ägypten, wobei im Fokus der Schweizer Aussenpolitik die wirtschaftlichen Beziehungen zu Ägypten stehen. Bereits 1909 eröffnete die Schweiz ihre erste Handelsvertretung in Ägypten. Heute umfasst die Liste der bilateralen Wirtschaftsabkommen unter anderem ein Investitionsschutz-, ein Doppelbesteuerungs-, sowie ein Luftverkehrsabkommen. Hinzu kommt noch das Freihandelsabkommen der EFTA mit Ägypten und die Entwicklungszusammenarbeit, die bezeichnenderweise im Fall Ägypten über das SECO läuft. Der bilaterale Warenhandel mit Ägypten hat sich seit 2006 positiv entwickelt und Husni Mubaraks Ägypten eignete sich besonders gut als Investitionsplatz für Schweizer Unternehmen. Das Investitionsklima ist dermassen angenehm und die Marktchancen so gut, dass auch immer wieder Anlässe mit schweizerisch-ägyptischen Handels- und Industriekammern auf dem Programm stehen. Noch im letzten Mai besuchte eine Delegation von Schweizer Geschäftsleuten mit Staatssekretär Jean-Daniel Gerber den ägyptischen Aussenminister Mohammed Rachid. Die Schweiz ist also ein wichtiger Handelspartner Ägyptens und als solche äusserst aktiv.

Nur zweimal haben die Beziehungen zur Schweiz gelitten: Beim Attentat von Luxor 1997, bei welchem 36 Schweizerinnen und Schweizer getötet wurden und bei der Minarettinitiative 2009, die kurzfristig die Beziehungen zur gesamten muslimischen Welt verschlechtert hatte.

Passive Menschenrechtsprojekte

Alles rosig also? Nicht ganz. Themen wie Menschenrechte und Demokratisierungsprozess sind nur am Rande ein Gesprächsstoff. Das ägyptische Notstandsgesetz, Folter, die Verhaftung von kritischen Bloggern und Journalisten, das NGO-Gesetz, das die Zivilgesellschaft einschränkt und nicht zuletzt die ca. 70 Prozent der ägyptischen Bevölkerung, die unter der Armutsschwelle leben, können nicht weggeredet werden. Zwar implementiert die Schweiz in Ägypten immer wieder Menschenrechtsprojekte in den Bereichen Folter, Frauenrechte und Kinderarbeit und achtet darauf, dass im Rahmen der SECO-Projekte die Menschenrechte respektiert werden. Besonders begrüssenswert sind dabei auch die Einschränkung der Kriegsmaterialausfuhr und ein sehr nützliches Blutbankenprojekt. Jedoch laufen diese Initiativen allesamt passiv und schwerfällig ab.

Die „Regeln des Konsenses“

Hinter dem Engagement der Schweiz zu Gunsten der Menschenrechte in Ägypten stecken also handfeste wirtschaftliche Interessen. Ägypten ist geostrategisch günstig gelegen verfügt im Gegensatz zu anderen Staaten im Nahen Osten über eine relativ gut ausgebaute Infrastruktur. Es ist insbesondere der Suezkanal, der Ägyptens Rolle in der Weltwirtschaft stärkt, indem er die Märkte Europas, Asiens und Afrikas verbindet und als Drehscheibe für den Rohstoffhandel – vor allem von Erdöl und Flüssiggas – in den Westen und auch in die Schweiz gilt. Da war und ist man bei der offiziellen Schweiz lieber auf der sicheren Seite und entscheidet sich für Stabilität und einen verlässlichen Partner wie Husni Mubarak anstatt für Wirrsal und Chaos, die alle Wirtschaftsinteressen blockieren. Befestigt wurde diese Art von Partnerschaft durch die Besuche der beiden Bundesräte Pascal Couchepin und Doris Leuthard in Kairo im Jahr 2008 und 2009, wobei sie befriedigt feststellen konnten, dass am Nil „die Regeln des Konsenses“ und „hervorragende Beziehungen“ mit der Schweiz herrschen.

Mubarak-Guthaben in der Schweiz

Doch trotz der vermeintlichen Stabilität sah sich die ägyptische Machtelite veranlasst, ihre Gelder in den sicheren Schweizer Hafen zu verlegen. Gemäss der Schweizer Nationalbank sind die ägyptischen Anlagen in der Schweiz ungefähr sechsmal höher als diejenigen aus Tunesien. Es handelt sich also um ca. 2,4 Milliarden Franken. Damit ist relativ sicher, dass auch Gelder des Mubarak-Clans auf Schweizer Konten lagern. Die Schweizer Regierung hat betont, dass eine Blockade von Geldern von Präsident Husni Mubarak und den Funktionären der Nationaldemokratischen Partei (NDP) vorerst nicht in Frage kommt. So sagte Micheline Calmy-Rey „man verfolge die Entwicklungen in Ägypten mit Aufmerksamkeit“, was man vom Aussenministerium in der Regel auch erwartet.

Aussenpolitisches Konzept der Schweiz für den Nahen Osten?

Wie sieht also das aussenpolitische Konzept der Schweiz für das gegenwärtig im Chaos versinkende Ägypten und Nahen Osten ganz allgemein aus? Klar ist, dass der Nahe Osten nach wie vor eine äusserst wichtige Region ist, insbesondere für die Schweizer Wirtschaftspolitik. Genau daher sollten aber auch Initiativen für die Förderung der Menschenrechte, der Demokratie und des Friedens  einen gewichtigen Platz in einer aktiven aussenpolitischen Agenda der Schweiz einnehmen.

Denn obwohl wir ihn jahrelang geduldet, ja gar unterstützt haben, wissen wir heute, dass der Status quo selbst die Katastrophe war: Nichts hat die radikalen Kräfte – die wir heute fürchten – so gestärkt, wie die jahrzehntlange Duldung des Autokraten Husni Mubaraks.

Elif Askin studiert Internationales Recht und Politik in Basel und Zürich und hat bis Dezember 2010 ein Praktikum an der Schweizer Botschaft in Kairo absolviert.

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