Als „Karneval der Bauchgefühle“ interpretierte die NZZ die Resultate der letzten Wahlen in Italien. Bei den Parlamentswahlen vom 4. März 2018 entschied sich nun auch eine Mehrheit der Italiener für die derzeit beliebte Anti-Establishment-Proteststimme.
Wie jüngst in verschiedenen anderen EU-Ländern erodierte vor allem die Unterstützung für die Sozialdemokraten dramatisch: Von den 25,4 Prozent der Stimmen bei der Wahl 2013 blieben der regierenden Partito Democratico (PD) bloss noch 18,7 Prozent übrig. Der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi, der 2014 noch als Hoffnungsträger antrat, um Italien aus der Stagnation zu führen, kündigte seinen Rücktritt als PD-Parteichef an. Gleichzeitig empfahl er seiner Partei, in der kommenden Legislatur in eine „konstruktive Opposition“ zu gehen. Ausgerechnet das Scheitern seines Verfassungsreferendums Ende 2016, als Folge dessen er als Regierungschef zurücktrat, scheint eine der Hauptursachen der heutigen Situation zu sein. Die Köpfe rollen: Nach den Wahlen von letzter Woche muss wohl auch der aktuelle Premierminister Paolo Gentiloni seinen Hut nehmen, obschon er als Einzelperson zuletzt den höchsten Beliebtheitswert hatte.
Der Rechtsblock wurde mit rund 37 Prozent der Stimmen die stärkste politische Kraft in Italien. Jedoch, anders als erwartet, wurde nicht Silvio Berlusconis Forza Italia die mächtigste Partei im rechten Lager. Seine Partei wurde von der EU-kritischen Lega überholt, welche nun die Führungsrolle innerhalb des Rechts-Bündnisses beansprucht. Seit 2013 heisst dessen Parteichef Matteo Salvini. Er baute die ehemalige Separatistenpartei des Nordens zu einer führenden Kraft der politischen Rechten im ganzen Land um und gewann nun 18 Prozent der Stimmen. Die Erfolgsfaktoren der Lega sind Salvinis starke Opposition gegen die EU-Immigrationspolitik der letzten Jahre, insbesondere punktete die Lega mit der ins Zentrum des Wahlkampfs gerückten Problematik der Bootsimmigranten an der italienischen Mittelmeerküste.
Zur stärksten Einzelpartei bei der italienischen Parlamentswahl wurde das „Movimento Cinque Stelle“ (M5S), die Fünf-Sterne-Bewegung. Angepeitscht durch den Clown und Parteigründer Beppe Grillo erhielt die Partei mit rund 32% am meisten Stimmen. Aufgrund einer früheren Verurteilung war Grillo nicht Spitzenkandidat, sondern der 31-jährige Studienabbrecher Luigi Di Maio. Wie Matteo Salvini und dem mittlerweile in der Wählergunst tief gesunkene Matteo Renzi verkörpert Di Maio die nächste Politikergeneration, nachdem vor allem der 81-jährige Silvio Berlusconi die Geschicke des Landes über Jahre hinaus geprägt hatte. Wird nach Sebastian Kurz und Emmanuel Macron 2017 sowie Matteo Renzi 2013 also ein weiterer Jungspund Regierungschef in Europa?
Das Parteiprogramm von M5S ist wahrlich schwierig einzuordnen auf einer Links-Rechts-Skala und vereinigt verschiedene Anliegen. Von einem Grundeinkommen für Bedürftige von 780 Euro, über eine härtere Gangart gegenüber Flüchtlingen bis hin zum radikalen Umbau Italiens zu einer „Green Economy“ oder der Hinterfragung der EU-Gemeinschaftswährung Euro – alles hat Platz im Programm der Bewegung. Vor allem aber hat sich das M5S die digitale Partizipation seiner Mitglieder auf die Fahne geschrieben. Über das Schicksal jeglicher Kandidaten sowie den konkreten Forderungen der Bewegung werden auf der digitalen Plattform „Rousseau“ entschieden. Die Transparenz und Funktionsweise dieser Plattform sind jedoch zu hinterfragen, die Abstimmungen sind zuweilen schwer nachvollziehbar. Im Hintergrund hält unter anderem der Mailänder Davide Casaleggio die Fäden in der Hand, und Beppe Grillo’s Kontrollwahn kontrastiert mit dem basisdemokratischen Anspruch der Partei. Zu allem Überdruss scheinen auch noch ausländische Akteure die „Echokammern“ der Populisten in Italien zu bewirtschaften. Es war wohl kein Zufall, dass ausgerechnet Steve Bannon den Wahltag in Italien verbrachte, bevor er letzte Woche nach Oerlikon kam, um bei einem „Weltwoche“-Podium aufzutreten.
Hinweis: Nach einer allfälligen Regierungsbildung in Italien wird ein zweiter Blog zu der italienischen Politik erscheinen. Dies könnte aufgrund der aktuellen Konstellation jedoch noch ein bisschen länger dauern oder vielleicht stehen uns sogar Neuwahlen bevor. Denn: Keiner der Wahlgewinner möchte so richtig mit den anderen koalieren. Eins ist sicher: Möglich ist zurzeit alles! Der Stiefel befindet sich inmitten des Nach-Wahlkaters.
Grafik: Silvan Wegmann, März 2018