Eine Jamaika-Koalition wäre von vielen als Wiederauflage der grossen Koalition mit anderem Farbmuster wahrgenommen worden. Die Verschärfung der politischen Debatte und Neuwahlen könnten Richtungsentscheidungen provozieren – und besonders der AfD zu schaffen machen.
Deutschlands Grosse Koalition muss nun noch etwas länger kommissarisch regieren. Eine alles in allem erfolgreiche Legislaturperiode hatte namentlich der SPD den bitteren Misserfolg bei den Bundestagswahlen beschert. Mitregieren ist misslich. In der Opposition das Profil schärfen, um dann aus der Pole-Position Angela Merkel abzulösen, deren Kanzlerschaft fragil geworden war – so der ursprüngliche Plan der Sozialdemokraten.
Die SPD hat die Rechnung ohne den liberalen Wirt gemacht: Die FDP hat am Sonntag das Projekt Jamaika begraben. Die Machtstrategie der SPD hatte aber ohnehin einen Haken.
Ähnlich wie die Grosse Koalition, wäre Jamaika ebenfalls eine grosse Koalition gewesen. Ein Zweckbündnis mit solcher Spannweite, dass Inkohärenzen und Unschärfen des Regierungsprogramms mindestens so krass gewesen wären wie unter der eigentlichen Grossen Koalition. Jamaika hätte sogar ein noch breiteres politisches Spektrum abgedeckt: von ökologischen Linken über Mitte-Pragmatiker bis zu Konservativen mit eigendynamischem Rechtsdrall und wiedergeborenen Marktliberalen.
Ein beträchtlicher Teil der Öffentlichkeit hätte sie als «andere» Grosse Koalition mit neuem Farbenmuster wahrgenommen. So hätte Jamaika Kompromisse bedingt, die gar niemanden zufriedenstellen. Hat man Grün gewählt, um eine Flüchtlingsobergrenze mit anderem Namen zu ermöglichen? Wählt man FDP, damit die Steuern doch nicht wirklich sinken? Zu welcher Partei hätten die Enttäuschten gewechselt?
Der lachende Fünfte wäre nicht automatisch die SPD gewesen. Auch in der Opposition hätten die Sozialdemokraten ihre Mühe gehabt, sich inhaltlich glasklar und für alle ersichtlich von der Politik der vierten Merkel-Regierung abzuheben. Wie es die Oppositionsparteien in der vergangenen Legislaturperiode erlebten, ist es schwierig, klare Kante zu zeigen, wenn der Gegner äusserst breit aufgestellt ist und sein Programm aus Unschärfen besteht – es sei denn, man setzt auf Populismus und Ausländerfeindlichkeit…
Die Absage an einer grossen Koalition in Gestalt von Jamaika, ist vor diesem Hintergrund auch eine Chance. Die bisherige Grosse Koalition habe die politische Debatte in der Bundesrepublik ersticken lassen klagen viele. Die AfD sprach gar vom «Ende der Demokratie» und präsentierte sich als einzige Alternative zur Dauerkanzlerin. Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen ist nun jedoch der Beleg, dass die politische Auseinandersetzung in der Bundesrepublik lebt und die herkömmlichen Parteien nicht einerlei sind. Es wird kein «einfaches weiter so» der etablierten Parteien geben, jede wird sich nun erst recht zu profilieren versuchen.
Der Einzug der AfD in den Bundestag hat die Architektur der deutschen Politik grundsätzlich geändert und Berlin weniger berechenbar gemacht. Genau dies könnte der AfD zu schaffen machen. Gemäss einer Umfrage stimmten im September bloss 31% der AfD-Wähler aus Überzeugung für die Partei. 61% gaben der AfD aus Enttäuschung über die anderen Parteien ihre Stimme. Zudem werden Konservative aus FDP und CDU/CSU sich nach dem Nein zu Jamaika kaum enttäuscht der AfD zuwenden. Die AfD könnte die Verliererin sein, wenn aus der Verschärfung der Debatte im Zuge einer Neuwahl Richtungsentscheidungen hervorgehen.
Bild: Nun doch nicht Jamaika. Da fehlt das Gelb für die Jamaikanische Flagge. Die Liberalen haben sich am Sonntagmorgen von den Koalitionsgesprächen verabschiedet…
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