Kein Allheilmittel der IZA: Berufsbildung kann nicht alle Probleme lösen

Entwicklungspolitik

Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen und Perspektiven auf dem lokalen Arbeitsmarkt, Verringerung von Jugendarbeitslosigkeit und des Bevölkerungswachstums, Wirtschaftsentwicklung, Armutsreduktion – zu all diesen Zielen sollen Berufsbildungsprojekte, inspiriert durch das schweizerische Modell, einen Beitrag leisten. Die Wirkungszusammenhänge in der neuen Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2021-2024 sind aber zu breit gefasst und können falsche Erwartungen wecken.

Die Schweiz wird weltweit für ihr attraktives duales Berufsbildungssystem anerkannt. Das System trägt zu einer starken Ausrichtung der Berufsbildung an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes bei und ist in der Lage, junge Menschen reibungslos in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu integrieren. Diese leisten wiederum einen Beitrag zu einer qualifizierten Erwerbsbevölkerung sowie zu niedrigen Jugendarbeitslosigkeitsraten. Einer der Hauptgründe für diesen Erfolg liegt in der starken Beteiligung des Privatsektors in der Steuerung, Gestaltung, Reform und Finanzierung der Berufsbildung. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass die DEZA ihre Ansätze, Kompetenzen und Fachkenntnisse in der Berufsbildung als zentralen Mehrwert in der Entwicklungszusammenarbeitpositioniert. Ihr Anspruch ist nicht, das schweizerische System zu kopieren, sondern, dass gewisse Ansätze und Elemente, insbesondere die Einbindung des Privatsektors, als Inspiration dienen und an den lokalen Kontext angepasst werden. Durch den Aufbau arbeitsmarktorientierter Kompetenzen sollen langfristig wirtschaftliche (höhere Produktion, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum), soziale (Bildung, Inklusion) und individuelle (Arbeitsmarktfähigkeit, persönliche Entwicklung, bessere Arbeitsbedingungen) Ziele erreicht werden.

Diese Wirkungslogik ist zwar nicht falsch, aber zu kurz gegriffen. Denn:

Erstens, es existiert eine Spannung zwischen wirtschaftlichen und sozialen Zielen. Auf der einen Seite möchten Arbeitgeber durch ihr Engagement in der Berufsbildung ihre Produktivität erhöhen sowie zukünftige Arbeitskräfte identifizieren. Deshalb rekrutieren sie die leistungsstärksten Kandidaten. Auf der anderen Seite hat der Staat ein Interesse daran, auch leistungsschwächere und benachteiligte Schüler in die Berufsbildung zu integrieren und gleiche Chancen auf eine hochwertige Bildung für alle zu ermöglichen. Diese Spannung muss bei der Einbindung von privatwirtschaftlichen Akteuren berücksichtigt werden. Strategien und Konzepte müssen entwickelt werden, welche die Weltbilder privatwirtschaftlicher und öffentlicher Akteure vereinen und eine langfristige Zusammenarbeit ermöglichen.

Zweitens gilt es Lehren aus den Erkenntnissen von sechzig Jahren internationaler Förderung dualer Berufsbildung in der Entwicklungszusammenarbeit zu ziehen. Die Meta-Evaluation von deutschen Berufsbildungsprojekten, welche ebenfalls den dualen Ansatz verfolgen, zeigt auf, dass Projekte, welche sehr ambitionierte Ziele haben und Breitenwirksamkeit anstreben (z.B. breite Reformprozesse auslösen wollen) wenig nachhaltig sind. Aus der schweizerischen Meta-Evaluation nehmen wir die Erkenntnis mit, dass Regierungen und private Akteure in den Schwerpunktländern oftmals nicht die Ressourcen und Anreize haben, die Berufsbildungsprojekte horizontal oder vertikal zu skalieren. Breitenwirksamkeit wird aber als grundlegender Baustein in der Strategie IZA 2021-2024 vorausgesetzt, um Ziele wie Wirtschaftsentwicklung, Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen oder Verringerung von Jugendarbeitslosigkeit zu erreichen. Der dafür erforderliche Institutionenaufbau braucht jedoch viel Zeit, Ressourcen und Akteure des Wandels. Es bedarf deshalb eines klaren Erwartungsmanagements, was Berufsbildungsprojekte in Partnerländern realistischerweise auf der Makro-Ebene erreichen können.

Nichtsdestotrotz lässt sich nicht von der Hand weisen, dass duale Bildung ein wertvolles Werkzeug der Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Schliesslich beschreibt die OECD Kompetenzen («Skills») nicht umsonst als die globale Währung der Volkswirtschaften des 21. Jahrhunderts. Die vierte industrielle Revolution verlangt in allen Regionen der Welt nach Fähigkeiten wie digitalen und numerischen Fertigkeiten oder «soft skills» wie emotionaler Intelligenz, Problemlösungs- und Kommunikationsfähigkeiten. Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung gefährden deshalb traditionelle technische Berufe.

Die Schweiz kann in diesem Bereich nicht auf ihre 100-jährige Erfahrung und Expertise in den klassischen Wirtschaftssektoren zurückgreifen. Wir befinden wir uns alle im Prozess, unsere Bildungssysteme an die Anforderungen der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts anzupassen. Lern- und Transferprozesse werden deshalb nicht mehr traditionell von Norden in den Süden verlaufen, sondern in alle Richtungen. Akteure aus der Entwicklungszusammenarbeit, aus dem Bildungswesen und aus der Arbeitswelt müssen deshalb offen sein für neue Bildungs- und Trainingskonzepte sowie innovativen Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren in Bildungsfragen. Dies ermöglicht jungen Menschen weltweit – einem eigentlichen demographischen Geschenk – die grossartigen Chancen der technologischen Veränderung wahrnehmen zu können.

 

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